{"id":36417,"date":"2018-09-06T18:03:35","date_gmt":"2018-09-06T16:03:35","guid":{"rendered":"https:\/\/www.studienverlag.at\/buecher\/\/oesterreichische-zeitschrift-fuer-geschichtswissenschaften-2-2017\/"},"modified":"2020-08-24T14:18:39","modified_gmt":"2020-08-24T12:18:39","slug":"oesterreichische-zeitschrift-fuer-geschichtswissenschaften-2-2017","status":"publish","type":"books","link":"https:\/\/www.studienverlag.at\/buecher\/5614\/oesterreichische-zeitschrift-fuer-geschichtswissenschaften-2-2017\/","title":{"rendered":"\u00d6sterreichische Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften 2\/2017"},"content":{"rendered":"

\u201eIhr Flucht ist eine Reaktion auf Gewalt. W\u00e4hrend in der gesamten Menschheitsgeschichte Menschen vor Menschen, Tieren oder Naturkatastrophen geflohen sind, ist ihre Kategorisierung als \u201aillegale\u2018 oder \u201alegale\u2018 Einwanderer, Fl\u00fcchtlinge, Asylant*innen, Vertriebene, Displaced Persons, Evakuierte, Internierte, sind Reisep\u00e4sse, Konventionalp\u00e4sse, Visa, Aufnahme- und Fl\u00fcchtlingslager Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Gef\u00e4ngnisse f\u00fcr Gefl\u00fcchtete entstanden erst unl\u00e4ngst in der Europ\u00e4ischen Union, in Ungarn, Bulgarien und Griechenland, und auch an der EU-Au\u00dfengrenze zwischen Serbien und Ungarn, in Folge der EU-Politik auch in der T\u00fcrkei, im libyschen Tripolis und anderswo. Einige dieser Gef\u00e4ngnisse schaffen Bedingungen der permanenten Entrechtung und Entw\u00fcrdigung. Staatsregierungen in der Europ\u00e4ischen Union und die Europ\u00e4ische Kommission tragen Mitverantwortung f\u00fcr die systematische Verletzung der Menschenrechte.1<\/a><\/p>\n

Historiker*innen, Politik- und Rechtswissenschaftler*innen und Soziolog*innen untersuchen diese verh\u00e4ngnisvollen Entwicklungen als Folgen kriegerischer, teilweise auch globalisierter Konflikte, regionaler Armut, \u00f6kologischer Katastrophen und westlicher Gouvernementalit\u00e4t.2<\/a> Immer deutlicher unterscheiden sich Fluchten und Fluchtmigrationen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt von anderen Migrationen im 19., 20. und 21. Jahrhundert. Aber nicht alle, die sich innerhalb eines Landes oder \u00fcber Landes- und Kontinentalgrenzen bewegen, sind auf der Flucht. Sehr oft koppeln sich Phasen der Migration an Phasen der Flucht und umgekehrt. Dann sprechen wir von \u201aFluchtmigration\u2018. Genau davon wird in diesem Band ausf\u00fchrlich die Rede sein.<\/p>\n

Die seit den 1930er Jahren entwickelten Theorien, Konzepte und Begriffe der Migrationssoziologie\u00a0\u2013 Assimilation, Absorption, Akkulturation, Integration3<\/a> u. a.\u00a0\u2013 passen f\u00fcr die rezenten Formen der Flucht und der Fluchtmigration nur bedingt oder stellen sich im Licht neuer empirischer Studien als zu normativ, mechanistisch, linear und unterkomplex heraus. Eine \u00fcberwiegend junge Generation von Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen stellt neue Fragen und er\u00f6rtert \u00e4ltere Fragen der Migrationssoziologie angesichts rezenter Entwicklungen von einem weniger staatsnahen Standpunkt und somit in einer neuen und vornehmlich qualitativen Perspektive: Was genau veranlasst Menschen zur Flucht? Welche Seiten des Menschen\u00a0\u2013 k\u00f6rperliche, psychische, mentale, kognitive, professionelle\u00a0\u2013 werden dabei beansprucht? Wie unterscheidet sich das subjektive Erleben der Flucht vom Erleben anderer Formen der Migration? Und welche besonderen objektiven und subjektiven Aspekte kennzeichnen das (politische) Asyl bzw. den subsidi\u00e4ren Schutz der Europ\u00e4ischen Union (EU) im Unterschied zur Aufnahme von Migrant*innen in klassischen Einwanderungsl\u00e4ndern? Wie bew\u00e4ltigen Frauen, M\u00e4nner, Kinder und Jugendliche, letztere oft \u201aunbegleitet\u2018, die Flucht bzw. die Fluchtmigration, das Asyl, die Internierung oder die R\u00fcckschiebung? Auf welche Weise und mit welchen Auswirkungen auf ihre Lebensf\u00fchrung f\u00fcgen sie ihr Erleben autobiographisch in die Vorstellung von ihrer Geschichte und in den Plan f\u00fcr ihr weiteres Leben ein? Neu sind aber auch folgende Fragen: Wie gehen die \u201aEinheimischen\u2018 mit Gefl\u00fcchteten um? Was \u00e4ngstigt sie oder weckt ihre Abwehr oder erzeugt verdeckte und offene Aggression? Und nicht zuletzt: Was meint aus der Sicht der Regierungen der aufnehmenden Staaten und ihrer B\u00fcrger*innen die \u201aIntegration\u2018 von Gefl\u00fcchteten?<\/p>\n

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Die Leitidee der Migrationsforschung des 20. Jahrhunderts war die m\u00f6glichst rasche Integration aller Zuwander*innen. Einer ihrer besten Theoretiker, Shmuel N. Eisenstadt, untersuchte die Einwanderung in den neu gegr\u00fcndeten Staat Israel. Er sprach selten von Integration, aber ausdr\u00fccklich von Absorption. Diese allerdings vollziehe sich nicht, wie Pioniere der Migrationssoziologie vor ihm dachten und schrieben, in einer irreversiblen und linearen Abfolge von drei oder mehr Phasen. Eine vollst\u00e4ndige Absorption hielt Eisenstadt f\u00fcr den ungew\u00f6hnlichsten und h\u00f6chst seltenen Fall, dennoch hielt er an der Idealvorstellung einer g\u00e4nzlichen Absorption des Fremden zugunsten der Staats- und Nationsbildung fest.4<\/a> Dieses Ideal bestimmt bis heute den gouvernementalen Diskurs. F\u00fcr rezente Fluchten und Fluchtmigrationen aus Kriegs- und Krisengebieten kann dieses Ideal nicht ohne weiteres gelten. Zu spezifisch und vielf\u00e4ltig sind ihre Gr\u00fcnde und Formen, die sozialen, \u00f6konomischen und psychischen Bew\u00e4ltigungsstrategien der Fl\u00fcchtenden und Gefl\u00fcchteten, aber auch die Ma\u00dfnahmen der staatlichen und suprastaatlichen Fl\u00fcchtlingspolitik und die Hilfsbereitschaft, aber auch die Bedenken und \u00c4ngste der aufnehmenden Gesellschaft. Die Besonderheiten durch empirische Forschung herauszuarbeiten und in den politischen Diskurs einzubringen ist die Aufgabe, die wir uns bei der Vorbereitung dieses Band gestellt haben.<\/p>\n

Da sich Flucht, wie gesagt, vor allem durch ihren konstitutiven Konnex mit staatlicher, milit\u00e4rischer oder terroristischer Gewalt oder mit \u00f6kologisch erzeugten Bedrohungen des Lebens von anderen Migrationsformen unterscheidet, treten das Menschenrecht auf Flucht vor Gewalt und Bedrohung und das Recht auf politisches Asyl in den Vordergrund. Die im Migrationsdiskurs stets mit gef\u00fchrte Debatte \u00fcber den volkswirtschaftlichen Nutzen der Zuwanderung verliert bei Fl\u00fcchtenden an Gewicht. Der Gedanke der Rettung ihres Lebens tritt hervor. Gleichwohl ist im politischen wie im wissenschaftlichen Diskurs die Vermischung der Flucht mit anderen Migrationsformen zu beobachten. Nicht immer ist dies nur eine Unsch\u00e4rfe des Denkens. Zuweilen werden die Unterschiede absichtsvoll verwischt, um das Menschenrecht auf Flucht und Asyl zu torpedieren. Das sogenannte Fl\u00fcchtlingsproblem erweist sich\u00a0\u2013 in einer entfernten Parallele zum sogenannten Judenproblem der 1920er und 1930er Jahre\u00a0\u2013 in erster Linie als ein Problem des ethnisierten und latent rassistischen und chauvinistischen Nationalstaates und der durch die Agenturen der nationalpolitischen Erziehung erzogenen Staatsb\u00fcrger*innen.<\/p>\n

Eine der meistdiskutierten Fragen der klassischen Migrationssoziologie wie der heutigen Debatten \u00fcber das sog. Fl\u00fcchtlingsproblem war und ist, wieviel kulturelle Vielfalt ein Staat und die Soziet\u00e4t seiner B\u00fcrger*innen aushalten und guthei\u00dfen kann. Die Wissenschaften von der Gesellschaft und ihrer Geschichte haben daran erhebliche und heterogene Anteile. In der strukturfunktionalistischen Soziologie Talcott Parsons\u2019, beispielsweise, galt Kultur als ein hegemoniales System, das alle anderen gro\u00dfen Systeme (Wirtschaft und Politik) und die kleinen sozialen Systeme (wie die Familie) mit generalisierten und konsensualisierten Werten \u201aversorgt\u2018. Kultur galt als die einigende Kraft, die den Zusammenhalt (Koh\u00e4sion) der \u201aGesellschaft\u2018 (das System aller Systeme) sicherstellt. Daher schien es naheliegend, alle Zuwander*innen ungeachtet der Art ihres Eintritts in die Aufnahmegesellschaft unter das Gebot der \u201akulturellen Integration\u2018 zu stellen. Die von Parsons auf die Ebene einer expliziten Theorie gehobene Vorstellung von in sich geschlossenen kulturellen Systemen gilt seit den 1980er und 1990er Jahren als \u00fcberholt. Seither gehen zumindest viele Kulturwissenschaftler*innen davon aus, dass Kulturelles (alle Bedeutungen, die sich in Sprache und anderen Zeichensystemen symbolisieren wie auch der Streit um diese Bedeutungen) an jeder menschlichen Interaktion haftet, im Alltagsleben und in der \u201ahohen Kultur\u2018. Das Kulturelle erscheint somit als ein Aspekt des Modus Vivendi, der sich in jeder Interaktion von Menschen manifestiert. In ihren Begegnungen handeln Menschen gem\u00e4\u00df der (kulturellen) Bedeutung, die sie den Objekten ihres Handelns (Menschen, Tieren, Pflanzen, G\u00e4rten, Landschaften, Artefakten und anderen, anorganischen Dingen) geben. In jeder Interaktion wird die Annahme einer selbst gegebenen Bedeutung, der Respekt vor Bedeutungen, die f\u00fcr andere gelten, oder die Zur\u00fcckweisung einer Bedeutung realisiert. Insofern ist das Zusammenleben der Menschen stets kulturell konfliktiv und moralisch-ethisch herausgefordert, die Andersheit anderer Menschen und aller anderen Lebewesen zumindest zur Kenntnis zu nehmen und m\u00f6glichst zu respektieren.<\/p>\n

Ob die Gesellschaft kulturelle Vielfalt in sich tragen kann, ist also nicht (mehr) die Frage, denn sie ist immer schon von kultureller Vielfalt gepr\u00e4gt und erzeugt ihre Vielfalt unaufh\u00f6rlich selbst. Auf einige Tausend Gefl\u00fcchtete, die die kulturelle Vielfalt ein wenig erh\u00f6hen, kommt es dem Grunde nach nicht an. Jedoch stellen sich angesichts der gro\u00dfen Migrations- und Fluchtbewegungen neue Fragen von hoher Dringlichkeit: Wie k\u00f6nnen die Einheimischen lernen, mit noch ungewohnten Aspekten der Vielfalt umzugehen? Ist ihnen zuzutrauen, die kulturelle und ph\u00e4notypische Andersheit der in ihre Soziet\u00e4t Gefl\u00fcchteten anzuerkennen und zu respektieren? Und umgekehrt d\u00fcrfen und m\u00fcssen wir fragen: Respektieren die angekommenen Gefl\u00fcchteten die den Einheimischen wichtigen Werte? Verwirken sie ihr Recht auf Asyl, wenn sie diese Werte dezidiert nicht respektieren, ja sie sogar bek\u00e4mpfen?<\/p>\n

In diesem Zusammenhang wird in der kulturwissenschaftlichen Forschung er\u00f6rtert, ob ein Mensch oder eine Menschengruppe denn \u00fcberhaupt einer distinkten \u201aKultur\u2018 angeh\u00f6rt, und ob nicht jeder Mensch und jede Menschen-Gruppe (etwa eine Familie oder eine Gemeinde) mehrere und verschiedene kulturelle Einfl\u00fcsse in sich tragen. Ist ein Mensch und ist eine Soziet\u00e4t von Menschen jemals kulturell homogen?5<\/a> Wenn Gefl\u00fcchtete aus Weltregionen mit anderen normativen Vorstellungen und Praktiken in einem europ\u00e4ischen oder nordamerikanischen Land eintreffen, gelangen sie an einen Ort, der wie ihr Herkunftsland\u00a0\u2013 nehmen wir Syrien oder Afghanistan\u00a0\u2013 seit langem kulturelle Vielfalt kennt. Warum aber dann die Abwehr und die Feindseligkeit gegen\u00fcber Gefl\u00fcchteten?<\/p>\n

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Statt den im 20. Jahrhundert noch unstrittigen westlich-modernen gouvernementalen Master-Plan der Integration aller Fremden im Nationalstaat weiterzuschreiben haben die Sozial- und Kulturwissenschaften heute einen umstrittenen Part. Sie sind Partei in einem Bedeutungskampf, in einem Lern- und Gestaltungsprozess des europ\u00e4ischen, nordamerikanischen und pazifischen Westens, in den die Regierungen und die B\u00fcrgerschaften der Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mit verschiedenen Ressentiments und politischen Strategien eingetreten sind. Was f\u00fcr die B\u00fcrger*innen demokratisch-republikanischer Staaten ansteht, ist die Revision der Vorstellung, eine kulturell homogene, klar von anderen Gesellschaften abgrenzbare Gesellschaft zu bilden. In den letzten Jahrzehnten wuchs die Modernit\u00e4tsdifferenz zwischen der politischen und der sozialkulturellen und sozio\u00f6konomischen Verfassung: Die politischen Konzepte des 19. Jahrhunderts, allen voran die Konzepte des (ethnisierten) Nationalstaates und nationalstaatlicher Regierungen sind ebenso wie die Vorstellung einer \u201anationalen\u2018 Wirtschaft der kulturellen Vielfalt und dem sozio\u00f6konomischen und soziokulturellen Weltzusammenhang nicht angemessen. Umso erstaunlicher, dass v\u00f6lkisches Denken erneut Konjunktur hat und sogar ehemals marxistische bzw. historisch-materialistische Denker den europ\u00e4ischen Nationalstaat gegen die \u201eFl\u00fcchtlingsflut\u201c verteidigen und in Spenglerscher Manier den Untergang des Abendlandes an die Wand malen.6<\/a> Wir hingegen hoffen und meinen, dass demokratische Staatenb\u00fcnde (wie im Ansatz die EU), die apriori ethnisch-kulturelle und sprachliche Vielfalt und einen transnationalen Wirtschaftsraum organisieren, eher als der Nationalstaat geeignet sind, Vielfalt demokratisch zu verwalten. Wieso kam es zu dieser Modernit\u00e4tsdifferenz? Und wie k\u00f6nnte sie abgebaut werden? Wo stehen wir heute? Wenn man dem Anschein der Hilfsgemeinschaften im Herbst 2015 an den Grenz\u00fcberg\u00e4ngen und auf den gro\u00dfen Bahnh\u00f6fen trauen darf, waren es im soziologischen Sinn B\u00fcrger*innen und Kinder von B\u00fcrger*innen, die erstmals eine emphatische \u201eWillkommenskultur\u201c schufen, also schon dem Namen nach etwas erzeugen und ausdr\u00fccken mussten, was so vorher nicht oder nur in schwachen und kurzlebigen Formen bestand.<\/p>\n

Nach einer langen Schrecksekunde artikulierten sich B\u00fcrger*innen gegen den \u201eZustrom\u201c an \u201eFremden\u201c, insbesondere weil es nicht mehr gelang, auch nur \u201adie Identit\u00e4t\u2018 der Ankommenden festzustellen. Dies triggerte alte, vielleicht atavistische \u00c4ngste vor unbekannten Fremden. Sie wurden als Eindringlinge wahrgenommen, die den Wohlstand bedrohten. Von den B\u00fcrger*innen, die sich mehr oder minder aggressiv zu Wort meldeten, wird gesagt, sie bildeten eine \u201eradikalisierte utopielose Mitte\u201c der Gesellschaft Europas.7<\/a> Doch zumindest der Befund der Utopielosigkeit ist falsch. F\u00fcr diese Mitte er\u00f6ffnet sich eine retrograde oder regressive Utopie, ein Nicht-Ort von gestern. Sie will eine \u201aeigene\u2018, abgegrenzte, identit\u00e4re und nationale Gesellschaft. Nach \u201aSchlie\u00dfung\u2018 der Grenzen und nach Ausweisung und R\u00fcckschiebung aller nicht \u201aassimilierten\u2018 und \u00f6konomisch \u201aunn\u00fctzen\u2018 Fremden will sie ganz unter sich sein. So wie es nie war.<\/p>\n

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In dieser gespaltenen, konfliktreichen und aus diesen und anderen Gr\u00fcnden angstbeladenen Gesellschaft Europas entstand in den letzten Jahren eine empirisch-historische Forschung, die sich auf die Geschichte\/n der Fl\u00fcchtenden und Gefl\u00fcchteten viel genauer einl\u00e4sst als die \u00e4ltere Soziologie der Migration. Ihr empirisches Wissen gewinnt sie vornehmlich aus Gespr\u00e4chen mit Gefl\u00fcchteten. Sie will den Gefl\u00fcchteten eine Stimme im \u00f6ffentlichen Diskurs verleihen; eine nicht unverd\u00e4chtige Metapher. Diese neue, in mehrfachem Sinn kommunikative Sozialforschung findet vor allem in soziologischen, ethnologischen, politologischen, sozial- und tiefenpsychologischen F\u00e4chern statt. Auch die Methoden der Erhebung, Dokumentation, Interpretation und Analyse der Narrative der Gefl\u00fcchteten und Migrant*innen kommen aus diesen F\u00e4chern. Die am h\u00e4ufigsten eingesetzte Forschungsmethode ist das methodisch gef\u00fchrte Gespr\u00e4ch, das Erinnerungen und Erz\u00e4hlungen \u00fcber Erinnertes stimuliert und in mehreren fachspezifischen Varianten expliziert und erprobt worden ist. Zus\u00e4tzlich werden auch Varianten des Experteninterviews mit \u201eorganischen Intellektuellen\u201c (Antonio Gramsci) unter den Gefl\u00fcchteten und mit Mitarbeiter*innen der staatlichen und kommunalen Beh\u00f6rden und diverser NGOs gef\u00fchrt. Die Koppelung der Analyse und Interpretation der so gewonnenen Narrative (intentionale \u201eQuellen\u201c im Sinne J.-G. Droysens) mit Analysen der \u00f6ffentlichen Diskurse z\u00e4hlt inzwischen zum Standard. Die neue Fluchtforschung interessiert nicht nur, was den Gefl\u00fcchteten an Anpassungs- und Integrationsleistungen aus der Sicht der Regierenden aufgetragen werden k\u00f6nnte, sondern auch wie die Gefl\u00fcchteten die soziale Welt im Heimatland, ihre eigene Migration und Flucht und die damit verbundenen Gefahren, das Warten auf die Anerkennung als Asylant*in und das ihnen dann allenfalls gew\u00e4hrte Asyl wahrnehmen, wie sie in diesen Phasen und kritischen Momenten ihre Ressourcen und Kompetenzen einsetzen und ihr Leben gestalten, und nicht zuletzt welchen Beitrag sie als B\u00fcrger*innen der Aufnahmegesellschaft leisten k\u00f6nnen.<\/p>\n

Infolgedessen gelangt die j\u00fcngere und j\u00fcngste Flucht-Forschung zu anderen Modellbildungen und Theorien als die \u00e4ltere Migrationssoziologie und die Migrationsstudien der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.8<\/a> Dennoch beginnt sie nicht bei Null und hat sich mit den Grundbegriffen und Theorien der Migration auseinanderzusetzen, die nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt wurden: \u201aMigration\u2018, \u201aArbeitsmigration\u2018, Zwangsmigration\u2018, \u201aFlucht\u2018, \u201aAssimilation\u2018, \u201aAbsorption\u2018 und \u201aIntegration\u2018, um nur die bekanntesten zu nennen.9<\/a> Vor allem im Hinblick auf rezente Formen der Kombination von Flucht und Migration (Fluchtmigration) bed\u00fcrfen sie nach unserer \u00dcberzeugung einer forschungsbasierten Revision.<\/p>\n

Gewiss k\u00f6nnen etablierte Rahmenbegriffe wie \u201aMigration\u2018 oder \u201aGewaltmigration\u2018 weiterhin benutzt werden, um qualitativ verschiedene Ph\u00e4nomene als benachbart und mit gewissen Schnittmengen zu erfassen. Doch kann dies auch wichtige Unterschiede verwischen. So wird dem \u201aFl\u00fcchtling\u2018 im gouvernementalen Diskurs, im Streit der politischen Parteien und im Alltagsdiskurs dieselbe Pflicht zugewiesen wie dem\/der \u201aWirtschaftsmigrant*in\u2018, n\u00e4mlich sich im Aufnahmeland ehestm\u00f6glich \u201azu integrieren\u2018. Was aber unter Integration verstanden wird, bleibt unterbestimmt. Viele Politiker*innen und B\u00fcrger*innen verbinden damit die vage Vorstellung, Integration bewirke im gelingenden Fall die vollst\u00e4ndige kulturelle Absorption oder Assimilation der Zuwander*innen und Fl\u00fcchtlinge. Dieser Wunsch zieht die Annahme nach sich, dass nur eine beschr\u00e4nkte Zahl von Fl\u00fcchtlingen integriert werden k\u00f6nne. Niemand wei\u00df, wie diese Zahl zu bestimmen w\u00e4re, und neuerlich ist es die Unbestimmtheit, die der nationalistischen Agitation in die H\u00e4nde spielt. Parteien liefern sich einen Wettstreit, wer die strengere Fl\u00fcchtlings-Abwehr-Politik zu Wege bringt. Aus den Fl\u00fcchtenden werden Gegner, aus Fl\u00fcchtlings- und Asylpolitik wird Verteidigungspolitik. Das kollektiv Unbewusste befeuert Gef\u00fchle und Rhetoriken der Xenophobie, des Rassismus und Chauvinismus. Die Feindseligkeit bricht wie eh und je in \u201aunsagbaren\u2018 Witzen hervor.10<\/a> Gleichzeitig nimmt die Bereitschaft zur Militanz in \u201aVerteidigung\u2018 der staatlichen und der europ\u00e4ischen Grenzen erheblich zu. Das bei vielen B\u00fcrger*innen ungeliebte Projekt der Europ\u00e4ischen Union erh\u00e4lt unversehens neue Popularit\u00e4t als Verteidigungsb\u00fcndnis, das die Fl\u00fcchtenden noch m\u00f6glichst weit vor den eigenen Staatsgrenzen abf\u00e4ngt, interniert oder zur\u00fcckschiebt.<\/p>\n

Historisch-sozialwissenschaftliche Forschung kann gegen diese Entwicklungen zwei Eins\u00e4tze leisten: zum einen als Wissens-, Rechts- und Institutionengeschichte, die zuletzt immer \u00f6fter als Diskursgeschichte angelegt ist und aufdecken will, wie Diskurse Wirklichkeiten mit erzeugen und was sie verzerren, unsichtbar machen oder verschweigen; zum anderen als historisch-sozialwissenschaftliche, qualitative und kommunikative Forschung, die untersucht, wie sich Flucht und Fluchtmigration und ein Leben im Aufnahme- oder Asylland fallspezifisch und in praxi vollziehen. Beide Eins\u00e4tze finden sich in diesem Band.<\/p>\n

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In den letzten Jahren haben Sozial- und Geschichtswissenschaften ihre Bem\u00fchungen zur Kommunikation ihrer Forschungsprojekte und Ergebnisse deutlich erh\u00f6ht, wohl weil es gar nicht einfach ist, sich als kritische Wissenschaft in der politischen \u00d6ffentlichkeit und gegen das weiter anwachsende Rauschen der Massenmedien Geh\u00f6r zu verschaffen. 1982 wurde an der Universit\u00e4t Oxford ein Refugee Studies Centre11<\/a> eingerichtet und das Journal of Refugee Studies12<\/a> begann zu erscheinen. Mit einiger Versp\u00e4tung bildeten im deutschsprachigen Raum 2013 \u00fcber hundert Sozialwissenschaftler*innen das Netzwerk Fl\u00fcchtlingsforschung, um einander und auch ein interessiertes Publikum \u00fcber laufende Forschungen und Forschungspl\u00e4ne zu informieren.13<\/a> Das Deutsche Institut f\u00fcr Entwicklungspolitik (DIE)14<\/a> koordiniert einschl\u00e4gige Forschungsprojekte. Eine Gro\u00dftagung der Deutschen Gesellschaft f\u00fcr Soziologie wird demn\u00e4chst Probleme der rezenten qualitativen Flucht- und Migrationsforschung verhandeln.15<\/a><\/p>\n

In den Geschichtswissenschaften und ihren Vereinigungen gibt es bisher deutlich weniger vergleichbare Bem\u00fchungen. Doch zeigen die j\u00fcngsten Flucht-Geschehnisse auch hier eine gewisse Wirkung. Vor kurzem wurde die Zeitschrift f\u00fcr Fl\u00fcchtlingsforschung gegr\u00fcndet, das erste Heft ist dieser Tage erschienen.16<\/a> Zwei der vier Herausgeber*innen sind Historiker. In dem Forschungsprojekt \u201eFlucht: Forschung und Transfer\u201c, das vom deutschen Bundesministerium f\u00fcr Bildung und Forschung mit rund einer Million Euro f\u00fcr zwei Jahre finanziert wird, arbeitet ein Historiker mit. Im Dezember 2016 fand am Institut f\u00fcr Zeitgeschichte M\u00fcnchen eine gro\u00dfe Tagung zum Thema Flucht statt.<\/p>\n

Droysens Unterscheidung der archivierten, medial gebundenen von den mitlebenden \u201aQuellen\u2018 ist\u00a0\u2013 ebenso wie sein Argument, die \u201aQuelle\u2018 sei narrativ und richte sich intentional stets an ein anwesendes oder imaginiertes Publikum, dem sie etwas mitteilen soll, worin sie sich von \u201a\u00dcberresten\u2018 der Verwaltung oder der Wirtschaft unterscheide\u00a0\u2013 beinahe in Vergessenheit geraten. Dabei w\u00e4re diese genaue Bestimmung der \u201aQuelle\u2018\u00a0\u2013 aus heutiger Sicht\u00a0\u2013 eine Br\u00fccke hin zur qualitativen Sozialforschung der Moderne gewesen. So wundert es nicht, dass Gespr\u00e4che mit Migrant*innen, Fl\u00fcchtenden und Gefl\u00fcchteten, Fotos, Videos oder Berichte im Internet nach wie vor viel \u00f6fter von Politikwissenschaftler*innen und Soziolog*innen als von Historiker*innen gen\u00fctzt werden.<\/p>\n

Doch auch die Geschichte der Geschichtswissenschaft ist nicht uniform und linear, sondern multipel und polyzentrisch. Seit der Gr\u00fcndung der \u00d6sterreichischen Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften im Jahr 1990 versuchen ihre Herausgeber*innen, den methodologischen Inter-Diskurs der Sozial- und Kulturwissenschaften zu \u201aimportieren\u2018 und dieses gar nicht bescheidene Vorhaben k\u00fcndigten sie schon im allerersten Band der Zeitschrift unter dem Titel \u201eGeschichte neu schreiben\u201c (1990\/1) an. Es folgten B\u00e4nde, die die Austauschbeziehung zwischen Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften forcierten und unterst\u00fctzten, unter anderem die B\u00e4nde \u201eKlios Texte\u201c (1993\/3), \u201eSprache macht Geschichte\u201c (1999\/4) \u201eFragen an die Geschichtswissenschaften\u201c (2005\/1), \u201eGlobal History\u201c (2009\/2), \u201eHistorische Netzwerkanalysen\u201c (2012\/1) oder \u201eDie Kinder des Staates\u201c (2014\/1+2). Der vorliegende Band des 28. Jahrgangs setzt diese Bem\u00fchungen fort: Historiker und Soziologen rekonstruieren und analysieren rezente Fallgeschichten und entwerfen Typologien von Flucht und Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Asyl. Politikwissenschaftler*innen und Jurist*innen untersuchen erfahrungs-, diskurs-, institutionen- und politikgeschichtlich die Entstehung und Ver\u00e4nderung der staatlichen und suprastaatlichen Reglementierung von Flucht und Asyl in Europa und in der Welt.<\/p>\n

Einen \u00dcberblick \u00fcber die Geschichte der \u201eGewaltmigration\u201c bietet der Historiker Jochen Oltmer vom Institut f\u00fcr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universit\u00e4t Osnabr\u00fcck. Die von ihm gew\u00e4hlte Begriffsklammer \u201eGewaltmigration\u201c umfasst erstens Vertreibungen aus ethnischen und rassistischen, politischen, religi\u00f6sen und \u00f6konomischen Gr\u00fcnden\u00a0\u2013 oft im Zeichen einer ethnisch-rassischen oder ethnisch-religi\u00f6sen Homogenisierung der sog. \u201aBev\u00f6lkerung\u2018 (das Phantasma der rassenhygienischen Bev\u00f6lkerungspolitik und der gouvernementalen Herrschaft in der westlichen Moderne gleicherma\u00dfen); zweitens Fluchten aus Kriegen, autorit\u00e4ren, faschistischen und kommunistischen bzw. stalinistischen Staaten; und drittens R\u00fcckwanderungen von Evakuierten, Gefangenen, Gefl\u00fcchteten, Deportierten und Vertriebenen in ihre Herkunftsl\u00e4nder seit dem Ersten Weltkrieg. Er untersucht also durchwegs Prozesse des 20. Jahrhunderts; dieses Jahrhundert stehe im Zeichen der Gewaltmigration.<\/p>\n

Im Forum skizzieren Manfred Nowak und Antonia Walter die Durchsetzung der Menschenrechte und ihre Verbindungen mit staatlicher Fl\u00fcchtlings- und Asylpolitik. Manfred Nowak ist Professor f\u00fcr internationales Recht und Menschenrechte an der Universit\u00e4t Wien und Generalsekret\u00e4r des European Inter-University Centre for Human Rights and Democratisation (EIUC) in Venedig. Antonia Walter war bis vor kurzem Universit\u00e4tsassistentin f\u00fcr internationales Recht und Menschenrechte an der Universit\u00e4t Wien und arbeitet derzeit an ihrer Dissertation zum Europ\u00e4ischen Fl\u00fcchtlingsrecht. Wir haben Nowak und Walter eingeladen, die Leserschaft der OeZG in dieses rechts- und politikgeschichtliche Thema einzuf\u00fchren. Besonders auch die praktisch-politische Erfahrung Manfred Nowaks als UNO-Sonderberichterstatter \u00fcber Folter, der zahlreiche Fl\u00fcchtlingslager in Griechenland und anderswo besucht und bewertet hat, f\u00fchrt ihn zu seinem Schluss-Argument: Eine gouvernementale L\u00f6sung des weltweiten Problems von Flucht, Migration und Asyl werde ohne die Errichtung einer sozio\u00f6konomischen Weltordnung, die die Gleichheit aller Menschen und das Menschenrecht respektiert, nicht zu haben sein.17<\/a><\/p>\n

Warum die Genfer Fl\u00fcchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 nicht als ausreichend eingesch\u00e4tzt und ein zweites Netz der Europ\u00e4ischen Union (\u201esubsidi\u00e4rer Schutz\u201c)\u00a0\u2013 beschr\u00e4nkt wirksam ab dem Jahr 2004\u00a0\u2013 aufgespannt wurde, rekonstruiert der Globalhistoriker Sebastian Frik, der neben einem zweiten Studium der Rechtswissenschaften derzeit als Rechtsberater in Asyl- und Fremdenrechtsfragen t\u00e4tig ist. Er rekonstruiert die m\u00fchsame Einigung der (damaligen) EU-Mitgliedsstaaten auf eine \u201eHarmonisierung\u201c der nationalstaatlichen Schutzpolitik in Europa. Daf\u00fcr schien es ihm notwendig, zun\u00e4chst die L\u00fccken im europ\u00e4ischen Asylsystem zu eruieren. Konzeptuelle Texte und Gesetze der EU-Schutzpolitik rekonstruiert er mit gewissen Einschr\u00e4nkungen diskursanalytisch. Im Ergebnis zeigt er, dass sich politische Eliten der west- und nordeurop\u00e4ischen (skandinavischen) L\u00e4nder st\u00e4rker f\u00fcr den effizienten Schutz aller Gefl\u00fcchteten eingesetzt haben als die Abgeordneten, Minister*innen und Regierungschef*innen der zentral- und ost- bzw. s\u00fcdosteurop\u00e4ischen L\u00e4nder, \u00fcbereinstimmend mit jeweiligen Mehrheiten in den W\u00e4hlerschaften ihrer L\u00e4nder. Dies weist in unserer Lesart indirekt auf die in diesen Teilen Europas sehr verschieden und ungleichzeitig verlaufene Herausbildung demokratisch-republikanischer B\u00fcrgerlichkeit hin.<\/p>\n

Drei weitere Beitr\u00e4ge bilden den zweiten, historisch-sozialwissenschaftlichen Teil des Bandes. Sie untersuchen Fluchtmigrationen aus dem Mittleren und Nahen Osten sowie Erfahrungen von Migrant*innen und Gefl\u00fcchteten in arabischen, nordafrikanischen und europ\u00e4ischen Gast-, Transit- und Asyll\u00e4ndern.<\/p>\n

Der Soziologe Hendrik Hinrichsen vom\u00a0Methodenzentrum Sozialwissenschaften\u00a0der Universit\u00e4t G\u00f6ttingen vergleicht zwei Generationen von Pal\u00e4stinenser*innen im Westjordanland in ihrem Umgang mit dem Ersten Arabisch-Israelischen Krieg (1947\u20131949) und der\u00a0Nakba, so das arabische Wort f\u00fcr die \u201egro\u00dfe Katastrophe\u201c der Flucht und Vertreibung von ca. 700.000 arabischen\u00a0Pal\u00e4stinenser*innen\u00a0aus dem fr\u00fcheren britischen Mandatsgebiet Pal\u00e4stina. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass sich in den folgenden fast 70 Jahren\u00a0hier auch zwei verschiedene Generationslagen (im Sinne Karl Mannheims) und verschiedene, politisch und sozialpsychologisch erkl\u00e4rbare Wir- und Ihr-Konstruktionen ausmachen\u00a0lassen. So wird der Fl\u00fcchtlings-Status in der zweiten Generation durch das identit\u00e4tsstiftende Wir-Erlebnis der Ersten Intifada (1987\u20131993), den Aufstand gegen die israelische Milit\u00e4rbesatzung und Siedlungspolitik, \u00fcberlagert. In einem Teil der dritten Generation, der Enkelkinder der Nakba-Generation, gewinnt das Selbst- und Wirbild \u201eWir Fl\u00fcchtlinge\u2018 gegen\u00fcber der zweiten Generation wieder an Bedeutung. Dieser Teil der dritten Generation konstruiert sich als die multipel benachteiligten K\u00e4mpfer*innen gegen die Besatzung und opponiert zugleich der b\u00fcrokratischen Elite der pal\u00e4stinensischen Autonomieverwaltung und der urbanen Mittelschicht in den St\u00e4dten des Westjordanlandes. In Abschattung vom israelisch-pal\u00e4stinensischen Konflikt, so lautet die historische Theorie des Autors sinngem\u00e4\u00df, vollzog sich im Westjordanland eine durch die Besatzungs- und Siedlungspolitik des Staates Israel teils intentional mit erzeugte Segregation und Binnendifferenzierung. So entstand ein generation gap, der sozio\u00f6konomische und politische Folgen f\u00fcr die k\u00fcnftige Entwicklung eines m\u00f6glichen pal\u00e4stinensischen Staates im Westjordanland, aber auch Potenzial f\u00fcr weitere Konflikte im Nahen und Mittleren Osten hat.<\/p>\n

Arne Worm, wie Hinrichsen Soziologe und Mitglied desselben Forschungsteams an der Universit\u00e4t G\u00f6ttingen (Methodenzentrum Sozialwissenschaften) unter Leitung von Gabriele Rosenthal,\u00a0die seit vielen Jahren f\u00fcr eine qualitative Soziologie pl\u00e4diert, die st\u00e4rker historische Verl\u00e4ufe rekonstruiert,18<\/a> untersucht Migration und Flucht einer pal\u00e4stinensisch-syrischen Familie, deren Vorfahren aus dem ersten israelisch-pal\u00e4stinensischen Krieg nach Syrien geflohen waren. Viele Jahre sp\u00e4ter fliehen Angeh\u00f6rige der Familie vor den Bomben und Granaten, die das Assad-Regime auf syrische St\u00e4dte und D\u00f6rfer werfen l\u00e4sst. Sie migrieren und fl\u00fcchten \u00fcber Algerien, Marokko, die spanische Exklave Melilla und die spanische Halbinsel letztlich nach S\u00fcddeutschland, wo sie subsidi\u00e4ren Schutz erhalten.<\/p>\n

Die Verkn\u00fcpfung von mehreren Etappen der Migration und der Flucht zur \u201aFluchtmigration\u2018 wird aus den Umst\u00e4nden einer mehrfachen soziopolitischen und sozio\u00f6konomischen Benachteiligung und aus den akuten Bedrohungen des syrischen Krieges erkl\u00e4rt. Die Familie hat syrische, pal\u00e4stinensische und algerische Vorfahren und Verwandte. Kontakte zu Verwandten weisen gewisserma\u00dfen den Migrations-Weg zuerst nach Syrien und viel sp\u00e4ter nach Algerien. Erinnerungen an die Nakba werden auch in diesem Fall durch (orale) Erz\u00e4hlungen wachgehalten, allerdings deutlich schw\u00e4cher als in den von Hinrichsen untersuchten pal\u00e4stinensischen Gruppierungen im Westjordanland. Die Familie entscheidet sich f\u00fcr den Versuch, ihrer sozialen und politischen Marginalisierung in Syrien durch die Auswanderung nach Algerien zu entkommen und sich hier in einer Industriestadt durch Fabrikarbeit sozio\u00f6konomisch zu stabilisieren; als das Scheitern des Versuchs infolge zunehmender Diskriminierung nach und nach zur konsensualen Deutung der Eltern wird, entschlie\u00dfen sie sich, mit den Kindern nach Europa zu fliehen. Sie beauftragen den \u00e4ltesten Sohn, mit dem j\u00fcngeren Bruder \u00fcber die algerisch-marokkanische Grenze zu gehen und sich danach unter Arbeitsmigrant*innen des \u201ekleinen Grenzverkehrs\u201c zwischen Marokko und Melilla zu mischen und sich in die spanische Exklave \u201ezu schmuggeln\u201c. Haben sie sich in Marokko als Marokkaner ausgegeben, legen sie in Melilla ihre syrische Herkunft offen, um einen Asylantrag auf (im politischen Sinn) europ\u00e4ischem Boden stellen zu k\u00f6nnen. Die den S\u00f6hnen \u00fcbertragene Aufgabe ist es, diesen Fluchtweg auszuprobieren, ehe sich auch die Eltern auf denselben Weg machen. Die zwei illegalen Grenz\u00fcbertritte bilden die gef\u00e4hrlichste Fluchtpassage.<\/p>\n

\u00dcber die Analyse der Erz\u00e4hltexte gelangt Arne Worm zur These einer (bis auf weiteres) \u201ekrisenhaft verdichteten Gegenwart\u201c: Schon die Lebensbedingungen im Syrischen Krieg, die Migration von Syrien nach Algerien und die folgende Flucht \u00fcber Marokko und Melilla nach Spanien binden alle Energien und erfordern rasches Reagieren auf Ereignisse, Hindernisse und akute Gefahren. Bis zu einer k\u00fcnftig m\u00f6glichen (aber ungewissen) Restabilisierung in S\u00fcddeutschland treten die Vergangenheit und die fernere Zukunft der Familie hinter der subjektiv wahrgenommenen \u201aGegenwart\u2018 (im ph\u00e4nomenologischen Sinn Husserls) zur\u00fcck, in der sich kaum strategische Zukunftspl\u00e4ne machen lassen.<\/p>\n

Der Sozial- und Kulturhistoriker Reinhard Sieder und der in Syrien geborene, arabisch sprechende Politikwissenschaftler mit arabischen und kurdischen Vorfahren, Badran Farwati, rekonstruieren und analysieren die Ursachen und Dynamiken von Fluchtmigrationen syrisch-arabischer und syrisch-kurdischer Mediziner*innen und Pharmazeut*innen nach \u00d6sterreich und nach Wien samt ihren zwei oder drei Generationen zur\u00fcckreichenden, oral \u00fcberlieferten Vorgeschichten. Von dem pal\u00e4stinensisch-syrisch-algerischen Arbeitermilieu, das Arne Worm untersucht, unterscheidet die syrisch-arabischen \u00c4rzt*innen und Pharmazeut*innen v. a. ihre akademische Professionalit\u00e4t, ihre \u00f6konomischen und sozial-kulturellen Ressourcen, ihre vorg\u00e4ngigen Reiseerfahrungen und die Art ihrer professionellen Berufsmigrationen im arabischen Raum sowie die dar\u00fcber aufgebauten privaten und professionellen Netzwerke. All dies erm\u00f6glicht es, legale und sichere Ausreisen mit den ihnen durch die europ\u00e4ische \u201eFl\u00fcchtlingspolitik\u201c aufgezwungenen, gef\u00e4hrlichen Sequenzen der illegalisierten Flucht zu kombinieren und Sicherheit vor kriegerischer und terroristischer Gewalt und ein gutes Leben in einem europ\u00e4ischen Sozialstaat zu erlangen. Ist dies gelungen, treten umgehend weitere Ziele in den Blick, so v. a. die berufliche Etablierung im Asylland. Aber auch das in die weitere Zukunft weisende Ziel einer m\u00f6glichst guten Bildung und Ausbildung der Kinder bleibt \u00fcber den gesamten Verlauf von Flucht und Migration hinweg handlungsorientierend. Eine R\u00fcckkehr nach Syrien ist f\u00fcr einige eine Option, setzt aber das Ende des Krieges und einen Regime- und Politikwechsel in Syrien voraus.<\/p>\n

Weitaus st\u00e4rker akzentuiert als bei der pal\u00e4stinensischen Familie, deren Fluchtmigration Worm untersucht, ist bei den syrisch-arabischen \u00c4rzt*innen und Phar\u00admazeut*innen und ihren Ehepartner*innen der Fokus auf die bestm\u00f6gliche Bildung und Ausbildung der Kinder, ganz \u00fcberwiegend im medizinisch-pharmazeutischen Berufsfeld, womit eine oft schon zwei oder drei Generationen zur\u00fcckreichende Familientradition fortgef\u00fchrt wird. Diese eminente Berufsorientierung integriert die Vergangenheit und die Zukunftspl\u00e4ne in einem klassen- und (berufs)standesspezifischen, mehrgenerationalen Projekt. Allerdings werden daf\u00fcr auch geschlechtsspezifisch Opfer gebracht: In einigen F\u00e4llen stellen Ehefrauen ihre eigenen W\u00fcnsche auf die Fortsetzung oder die erstmalige Aufnahme einer qualifizierten Erwerbsarbeit zur\u00fcck, weil sie meinen, sich ganz auf den Haushalt und die Betreuung der Kinder konzentrieren zu m\u00fcssen, um das wichtigste Zukunftsprojekt auch unter den Umst\u00e4nden des Asyls zu sichern. In allen diesen F\u00e4llen kann von einer ausgepr\u00e4gten kurz- und mittelfristigen Zukunftsperspektive\u00a0\u2013 auch nach erfolgter Fluchtmigration\u00a0\u2013 gesprochen werden, obgleich eine R\u00fcckkehr nach Syrien von nicht absch\u00e4tzbaren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Syrien abh\u00e4ngt und bis auf weiteres offenbleibt.<\/p>\n

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Die sukzessive und variantenreiche Kombination von legalisierten und illegalisierten Strategien der Ausreise aus Kriegs- und Krisengebieten und legalisierten und illegalisierten Strategien der Einreise in ein anderes Land ist das Alleinstellungsmerkmal der \u201aFluchtmigration\u2018. In keiner der drei empirischen Studien fand sich eine totale kulturelle Absorption der Gefl\u00fcchteten im Asylland, stattdessen die Adaption an die alltagskulturellen, sprachlichen und professionellen Anforderungen. Dies bei einer unterschiedlich selbstsicheren oder stolzen Pflege der Herkunfts-Kultur. Die Aneignung von hegemonialen kulturellen Elementen im jeweiligen Gast-, Transit- oder Asylland (wie die Sprache, die Sitten, die symbolischen Formen der Soziet\u00e4t, der Wirtschaft und der Politik etc.) erfolgt jeweils \u201anur\u2018 insoweit, als sie den Zugewanderten und Gefl\u00fcchteten n\u00fctzlich und notwendig erscheint, d. h. einen Gewinn von Ressourcen f\u00fcr ein sicheres und gutes Leben \u201ajetzt\u2018 und in der Zukunft verspricht. Die \u201akompetente Partizipation\u2018 (S. N. Eisenstadt) der Akteur*innen am Gemeinwesen wird nicht unterbrochen oder gar abgebrochen. Die Fl\u00fcchtenden partizipieren an den Gemeinwesen in ihren Herkunftsl\u00e4ndern, an der tempor\u00e4ren Fluchtgemeinschaft, an Gemeinschaften und Netzwerken in Transit-, Aufnahme- und Asyll\u00e4ndern, sowie im spezifischen Fall der \u00c4rzt*innen und Pharmazeut*innen auch am System der medizinischen Professionen. \u201aKompetente Partizipation\u2018 stellt sich in allen untersuchten F\u00e4llen als eine Strategie heraus, die gesetzten Fluchtziele zu erreichen: Sie verringert die Gefahren der illegalisierten, aber unumg\u00e4nglichen Fluchtpassagen, wobei die Intention, die Gefahren m\u00f6glichst zu minimieren, bei allen Akteur*innen zu beobachten ist; sie stabilisiert das leibliche Wohlbefinden nach Phasen der Verzweiflung, k\u00f6rperlichen Erkrankung, des Pessimismus oder der Depression; nicht zuletzt f\u00f6rdert und erm\u00f6glicht sie die private und die berufliche Adaption im Asylland.<\/p>\n

Sehr deutlich zeigt sich eine Differenzierung der \u201akompetenten Partizipation\u2018 nach dem Geschlecht, aber auch nach der Generation und der sozio\u00f6konomischen Lage der Akteur*innen und der Familien: M\u00e4nner partizipieren umso st\u00e4rker und erfolgreicher, je h\u00f6her ihre Bildung und Ausbildung und je angesehener ihr Beruf ist. Frauen mit geringerer oder fehlender Berufsausbildung partizipieren eher am informellen Bereich von Familienleben und Nachbarschaft. Hochriskante Partizipationen an Gemeinwesen in einem autorit\u00e4ren und kriegf\u00fchrenden Herkunftsland (so auf der Seite der b\u00fcrgerlichen oder der islamistischen Opposition gegen das syrische Regime) und auf den gef\u00e4hrlichen Passagen der Flucht-Migration werden eher von j\u00fcngeren als von \u00e4lteren M\u00e4nnern, eher von M\u00e4nnern als von Frauen, und eher von \u00c4rmeren als von Wohlhabenden gew\u00e4hlt. Frauen bevorzugen\u00a0\u2013 oft mit Kindern reisend\u00a0\u2013 die m\u00f6glichst risikoarmen Wege der legalen \u201eFamilienzusammenf\u00fchrung\u201c. Diese setzt einen m\u00e4nnlichen Flucht-Pionier voraus, der auch gef\u00e4hrlichere oder m\u00fchsamere Wege geht und nach dem Erhalt des Asyl-Bescheids den Antrag auf Familienzusammenf\u00fchrung stellt. Am besten k\u00f6nnen gut gebildete und ausgebildete, relativ j\u00fcngere M\u00e4nner aus b\u00fcrgerlich-akademischen Familien die mit der Fluchtmigration verbundenen Ziele strategisch planen und erreichen. Sie setzen dabei auf \u00f6konomische, soziale, kulturelle (v. a. sprachliche) und wissenschaftliche bzw. berufsspezifische Kapitalien, die sie und ihre V\u00e4ter und Gro\u00dfv\u00e4ter akkumuliert haben.<\/p>\n

Hingegen haben im Herkunfts-Staat mehrfach benachteiligte Gruppen\u00a0\u2013 syrisch-kurdische \u00c4rzt*innen und Pharmazeut*innen und pal\u00e4stinensische Familien im Westjordanland wie auch im syrischen, irakischen oder algerischen Exil\u00a0\u2013 deutlich weniger Ressourcen und gr\u00f6\u00dfere Schwierigkeiten, ihre Strategien der Fluchtmigration erfolgreich zu realisieren. Der gleichsam \u201avererbte\u2018 Status der Pal\u00e4stinenser*innen als \u201eFl\u00fcchtlinge\u201c im Westjordanland oder in Syrien, oder der \u201avererbte\u2018 Status der \u201efremden\u201c und \u201estaatenlosen\u201c, oft nur geduldeten Kurd*innen im syrischen Staat bleiben auch im Verlauf der Studien- und der Arbeitsmigration, der Fluchtmigration und im Asylland wirksam. Pal\u00e4stinensische und kurdische Personen und Familien haben es in der Folge auch oft deutlich schwerer, im Transit- oder im Asylland als potenzielle Mitb\u00fcrger*innen anerkannt und respektiert zu werden.<\/p>\n

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Auf ein globales Migrations-Ph\u00e4nomen soll noch kurz hingewiesen werden, da es bestimmte Merkmale mit den hier untersuchten F\u00e4llen der Fluchtmigration und der skizzierten Theorie gemeinsam hat. Schon im fr\u00fchen 20. Jahrhundert, noch ausgepr\u00e4gter aber seit den 1970er und 1980er Jahren entstand durch weitere Sch\u00fcbe sozio\u00f6konomischer Globalisierung eine transnationale und zirkul\u00e4re (auch: zirkulierende) Migration.19<\/a> Menschen aus S\u00fcdamerika, Mexiko, den Philippinen, Indien, Pakistan, Afghanistan, Myanmar u. a. L\u00e4ndern wandern aus, um anderswo Erwerbsarbeit und ein besseres Auskommen zu finden, ohne aber das \u201aklassische\u2018 Muster der Migration\u00a0\u2013 vor allem von der US-amerikanischen Migrationssoziologie im Kontext einer selektiven US-Einwanderungspolitik beschrieben und theoretisiert\u00a0\u2013 zu wiederholen. Sie wandern nicht aus mit dem Ziel, \u201af\u00fcr immer\u2018 im Zielland zu bleiben und sich in jeder Hinsicht in die Gesellschaft dieses Landes zu integrieren bzw. zu akkulturieren. Zyklisch Migrierende werden nicht kulturell absorbiert, sondern adaptieren sich an die Verh\u00e4ltnisse des Gastlandes, soweit es unbedingt n\u00f6tig ist und ihren eigenen Interessen n\u00fctzt. Dies gilt zumindest f\u00fcr die erste Generation. Viele leben in mikro- und meso-sozialen Soziet\u00e4ten, die oft ethnische Enklaven im Gastland sind. Sie bilden transnationale Netzwerke und Familiensysteme, manche Autor*innen sprechen sogar von \u201etransnationalen Identit\u00e4ten\u201c. In ihren Enklaven pflegen Chines*innen in New York, Mexikaner*innen in Kalifornien, Marokkaner*innen und Algerier*innen in Frankreich oder Deutschland oder Philippinos in der Hochseeschifffahrt und in der Meeresfischerei, Philippinas im Gesundheitsdienst europ\u00e4ischer, nordamerikanischer und asiatischer Kommunen und in zahllosen b\u00fcrgerlichen Haushalten20<\/a> ihren kulturellen Bestand an Symbolen, Familienfesten und Alltagspraktiken. Immer wieder (\u201ezyklisch\u201c oder \u201ezirkulierend\u201c) kehren sie in ihre Herkunftsl\u00e4nder und Heimatgemeinden zur\u00fcck und unterhalten \u00fcber die jeweils neuesten und tauglichsten Kommunikationsmedien enge Beziehungen zu ihren Eltern, Kindern, Verwandten, Freunden und Gemeinden im Herkunftsland. Aus den Ersparnissen errichten sie H\u00e4user in ihren Heimatorten, die halb leer stehen, solange sie zirkulierend migrieren. Mit ihren Besuchen, Geschenken und regelm\u00e4\u00dfig \u00fcberwiesenen Spenden an Kirchen, Schulen und Krankenh\u00e4user wie auch mit Geldzahlungen an Eltern und andere Verwandte wollen sie f\u00fcr sich selber einen respektierten Platz in der Heimatgemeinde sichern, bis sie am Ende ihres Berufslebens m\u00f6glicherweise f\u00fcr immer zur\u00fcckkehren.21<\/a><\/p>\n

Einige dieser Merkmale finden wir auch bei Fluchtmigrant*innen aus den Kriegsregionen des Nahen und Mittleren Ostens. Unterschiede machen das Spezifische der Fluchtmigration noch einmal deutlich. Auch Fluchtmigrant*innen schlie\u00dfen eine R\u00fcckkehr in ihre Herkunftsl\u00e4nder keineswegs aus und auch sie halten ihre Beziehungen zu Verwandten und Bekannten im Herkunftsland und in anderen Teilen der Welt aufrecht. So entsteht, was wir die Diaspora der Fluchtmigrant*innen nennen k\u00f6nnen: ein transnationales Netzwerk von Verwandten, Freunden und Bekannten mit materiellen und ideellen (auch religi\u00f6sen) und idealiter reziproken Aust\u00e4uschen von Wissen und Deutungen, Nachrichten, sozialen Zuwendungen und materiellen G\u00fctern. Die Diaspora ist die kommunikative Reproduktion einer soziokulturellen Zugeh\u00f6rigkeit. Da Gefl\u00fcchtete in westlichen Aufnahmel\u00e4ndern oft zun\u00e4chst keinen oder nur beschr\u00e4nkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben, fehlt es ihnen jedoch an Einkommen, um regelm\u00e4\u00dfig Ersparnisse, Geschenke oder Konsumartikel an die Angeh\u00f6rigen im Heimatland zu schicken. Ungewiss ist, ob und wann eine R\u00fcckkehr in das Herkunftsland oder in den Heimatort m\u00f6glich sein wird. Die oft lange anhaltende sozio\u00f6konomische Prekarisierung der Gefl\u00fcchteten unterscheidet sie von zyklisch migrierenden Menschen. Zwar k\u00f6nnte die Fluchtmigration nach dem Ende kriegerischer Handlungen oder nach einem Regimewechsel im Heimatland ihre begr\u00fcndenden Motive verlieren und das Asyl in eine endg\u00fcltige R\u00fcckkehr oder in eine zirkulierende Migration \u00fcbergehen. Doch letzteres setzt voraus, dass Fluchtmigrant*innen sp\u00e4testens in der zweiten oder dritten Generation im Aufnahmeland Erwerbsarbeit und ausreichende Einkommen finden, mit denen sie nach dem auch subjektiv h\u00f6her bewerteten Muster der zirkulierenden Migrant*innen sowohl in ihr Leben im Erwerbsland als auch in Clan- und Familiensysteme in ihren Herkunftsorten investieren. Dies w\u00e4re dann\u00a0\u2013 in konventionellen Begriffen der Migrationssoziologie gesprochen\u00a0\u2013 eine doppelte \u201einstitutionelle Integration\u201c22<\/a> und eine sozio\u00f6konomische Beteiligung an der Aufnahmegesellschaft als auch ein Transfer von sozio\u00f6konomischen Ressourcen in die Herkunftsgesellschaft.<\/p>\n

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Hinter den politischen Ritualen und Inszenierungen auf der Vorderb\u00fchne der Nationalstaaten entwickeln sich global und weltregional \u00f6konomische und \u00f6kologische Wirkungszusammenh\u00e4nge, die Flucht, Vertreibung und Migration im gro\u00dfen Ma\u00dfstab ausl\u00f6sen oder f\u00f6rdern. Von Flucht bzw. Fluchtmigration, Vertreibung und politischem Asyl sind derzeit weltweit etwa 65 Millionen Menschen unmittelbar selber betroffen.23<\/a> (Die Gesamtzahl der Migrant*innen hingegen bel\u00e4uft sich weltweit auf gesch\u00e4tzte 300 Millionen.) Menschen fl\u00fcchten aus umk\u00e4mpften Zonen und aus mangelnder Versorgungssicherheit. Sie fl\u00fcchten aber auch aus den relativ \u00e4rmsten Regionen der Welt. Armut ist nicht nur wirtschaftliche Armut, sondern auch damit verbundene Bildungsarmut, der fehlende oder unzul\u00e4ngliche Zugang zu Kommunikations- und Produktions-Technologien und zu Fachwissen; auch krankmachende und lebensverk\u00fcrzende Wohn-, Arbeits- und Ern\u00e4hrungsverh\u00e4ltnisse erzeugen Armut. Armut kann Flucht und Migration \u00fcber weitere Distanzen auch behindern, die \u00c4rmsten sind oft gezwungen zu bleiben. Das gilt auch f\u00fcr Kriegsregionen wie f\u00fcr syrische St\u00e4dte und D\u00f6rfer. Der Human Development Index (HDI) misst die Qualit\u00e4t der Lebensverh\u00e4ltnisse an den Faktoren Lebenserwartung zur Zeit der Geburt, erwartete Schulzeit und durchschnittliche Anzahl der absolvierten Schuljahre sowie Bruttonationaleinkommen pro Kopf (gross national income per capita). In diesem relativ vern\u00fcnftig erstellten Index liegen die Hauptherkunftsl\u00e4nder von gefl\u00fcchteten bzw. fluchtmigrierten Menschen im letzten Drittel des Rankings, etwa zwischen den R\u00e4ngen 134 (Syrien) und 188 (Niger); f\u00fcr den vollst\u00e4ndig gescheiterten Staat Somalia liegen keine Daten vor.<\/p>\n

Fluchtmigrant*innen treffen in Staaten und Soziet\u00e4ten ein, die sich ihrer selbst derzeit alles andere als sicher sind. Oliver Nachtweih spricht\u00a0\u2013 auf den europ\u00e4ischen und nordamerikanischen Westen bezogen\u00a0\u2013 von \u201eAbstiegsgesellschaften\u201c und von Gesellschaften einer \u201eregressiven Moderne\u201c.24<\/a> Dieser Aspekt sollte in k\u00fcnftigen Untersuchungen zur Geschichte von Flucht und Asyl noch st\u00e4rker beachtet werden, gehen doch die aktuellen Feindseligkeiten gegen Gefl\u00fcchtete wie schon in fr\u00fcherer Zeit vornehmlich aus \u00c4ngsten und Aggressionen hervor. Zur Krise unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und zur Weltwirtschaftskrise um 1930 bestehen \u00c4hnlichkeiten, aber auch Unterschiede. Auff\u00e4llig ist, dass sich heute im US-amerikanischen Rust Belt, dem fr\u00fcheren Manufacturing Belt, in den Industriebrachen der ehemaligen DDR oder in den teils proletarischen Vorst\u00e4dten von Wien auff\u00e4llig viele Arbeiter*innen und kleine Angestellte und Gewerbetreibende von \u201eAusl\u00e4ndern\u201c im allgemeinen und besonders von Fluchtmigrant*innen bedroht f\u00fchlen, selbst wenn sie selber vor Jahren oder Jahrzehnten migriert sind oder ihre Eltern, Gro\u00dfeltern oder Urgro\u00dfeltern \u201eMigrationshintergrund\u201c haben. Dies motiviert sie, chauvinistischen, rassistischen und nationalistischen F\u00fchrer*innen zu folgen, die die Wiederherstellung der \u201enationalen St\u00e4rke\u201c versprechen, was u. a. die Abwehr \u201eder Fremden\u201c impliziert.<\/p>\n

Angesichts der gro\u00dfen Zahl wanderungs- und fluchtbereiter Menschen in Teilen Afrikas, des Nahen und des Mittleren Ostens und Teilen Asiens steht somit auch der so m\u00fchsam erreichte Kompromiss der europ\u00e4ischen und der UN-Fl\u00fcchtlingspolitik in Frage. Einige L\u00e4nder Europas und Nordamerikas scheinen auf dem Weg zu Volksdemokratien oder plebiszit\u00e4ren F\u00fchrerstaaten. Europ\u00e4ische Nationalist*innen setzen das Staatsvolk mit der ethnisch definierten Nation gleich, und wer ihnen wie unl\u00e4ngst die deutsche Kanzlerin Merkel widerspricht und republikanisch argumentiert, das Volk seien doch wohl alle, die im Land leben und arbeiten, erntet einen Shitstorm der \u201eradikalisierten Mitte\u201c.<\/p>\n

Wie m\u00e4chtig die Neuerfindung des Nationalen derzeit ist, zeigt auch die Tatsache, dass einige westliche Regierungen gegen die objektiven Interessen der globalisierten Teile der Wirtschaft auftreten: Sie predigen einen Wirtschaftsnationalismus mit autorit\u00e4ren und rassistischen Z\u00fcgen.25<\/a> Offenbar finden sie daf\u00fcr die Zustimmung vieler, die es mit ihrer Erwerbsarbeit \u00fcber die Jahre zu etwas Wohlstand gebracht haben, aber nun wirtschaftliche Nachteile erleiden. Sie sehen ihre kleinen Besitzt\u00fcmer bedroht und erm\u00e4chtigen populistische F\u00fchrer*innen, Gefl\u00fcchtete ein- oder auszusperren, weil sie meinen, nur so ihren relativen Wohlstand behalten zu k\u00f6nnen. Diesen Wohlstand ausgerechnet an \u201aFl\u00fcchtlinge\u2018 zu verlieren ist keine reale oder objektive Bedrohung. Es ist eine infantile Angst und erinnert an kleinb\u00fcrgerliche und proletarisierte Anh\u00e4nger*innen des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren.<\/p>\n

 <\/p>\n

Reinhard Sieder, Wien<\/p>\n

 <\/p>\n

Anmerkungen<\/p>\n

<\/a>1) Vgl. La trampa serbia. Fotoensayo por Manu Brabo, in: El Pa\u00eds Semanal, No. 2.119, 7. Mai 2017, 39\u201345; Margaretha Kopeinig, Asylcamp in Ungarn: \u201eDas hier ist ein Gef\u00e4ngnis\u201c. An der ungarisch-serbischen Grenze in R\u00f6szke warten Fl\u00fcchtlinge eingesperrt ihre Asylverfahren ab, in: Kurier.at, 9.5. 2017.<\/p>\n

<\/a>2) Gouvernementalit\u00e4t\u2018 bzw. \u201agouvernemental\u2018 wurde in den Sozial- und Geschichtswissenschaften erst in den letzten Jahrzehnten unter Bezugnahme auf Michel Foucault eingef\u00fchrt. Dieser schreibt: \u201eUnter Gouvernementalit\u00e4t verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszu\u00fcben, die als Hauptzielscheibe die Bev\u00f6lkerung, als Hauptwissensform die politische \u00d6konomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive\u00a0hat. (\u2026) Schlie\u00dflich glaube ich, dass man unter Gouvernementalit\u00e4t (\u2026) das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt f\u00fcr Schritt \u201agouvernementalisiert\u2018 hat. (\u2026) Wir leben im Zeitalter der Gouvernementalit\u00e4t (\u2026).\u201c Michel Foucault, Analytik der Macht, Frankfurt am Main 2005, 171 f.<\/p>\n

<\/a>3) Einf\u00fchrend: Petrus Han, Soziologie der Migration. Erkl\u00e4rungsmodelle. Fakten. Politische Konsequenzen. Perspektiven. 13 Tabellen und 7 \u00dcbersichten, Stuttgart 2000, 4. erweiterte Aufl., (eBook). In der vorliegenden Zeitschrift vgl. Sigrid Wadauer, Hg., Historische Migrationsforschung. \u00d6sterreichische Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften 19 (2008) Heft 1; f\u00fcr einen globalen Vergleich vgl. Dirk Hoerder, Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium, Durham 2002. Zuletzt einf\u00fchrend Petra Aigner, Migrationssoziologie. Eine Einf\u00fchrung, Springer (eBook) DOI 10.1007\/978-3-531-18999-4, Wiesbaden 2017; Christian J. J\u00e4ggi, Migration und Flucht. Wirtschaftliche Aspekte\u00a0\u2013 regionale Hot Spots\u00a0\u2013 Dynamiken\u00a0\u2013 L\u00f6sungsans\u00e4tze, SpringerGabler (eBook) DOI 10.1007\/978-3-658-13147-0, Wiesbaden 2016.<\/p>\n

<\/a>4) Vgl. Shmuel N. Eisenstadt, The Absorption of Immigrants. A Comparative Study. Based Mainly on the Jewish Community in Palestine and the State of Israel, London 1954; ders., Analysis of Patterns of Immigration and Absorption of Immigrants, in: Population Studies 7 (1953), 167\u2013180.<\/p>\n

<\/a>5) Vgl. v. a. Homi K. Bhabha, Die Verortung der Kultur. Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen. Deutsche \u00dcbersetzung von Michael Schiffmann und J\u00fcrgen Freudl, 1. Aufl. 2000, unver\u00e4nderter Nachdruck T\u00fcbigen 2007; ders., \u00dcber kulturelle Hybridit\u00e4t. Tradition und \u00dcbersetzung. Herausgegeben und eingeleitet von Anna Babka und Gerald Posselt, Wien 2012; einf\u00fchrend Karen Struve, Zur Aktualit\u00e4t von Homi K. Bhabha. Einleitung in sein Werk, Wiesbaden 2013.<\/p>\n

<\/a>6) Vgl. u. a. Rolf Peter Sieferle, Das Migrationsproblem: \u00dcber die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung: 1 (Die Werkreihe von Tumult), Kindle Edition 2017 (Nr. 92, Politik & Geschichte).<\/p>\n

<\/a>7) Vgl. Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Br\u00e4hler, Die enthemmte Mitte. Autorit\u00e4re und rechtsex\u00adtreme Einstellung in Deutschland. Die Leipziger Mitte-Studie 2016, Gie\u00dfen 2016.<\/p>\n

<\/a>8) Vgl. Alexander Betts, Forced Migration Studies: \u201aWho Are We and Where are We Going?\u2018, in: Journal of Refugee Studies 23\/2 (2010), 260\u2013269; J. Olaf Kleist, \u00dcber Flucht forschen. Herausforderungen der Fl\u00fcchtlingsforschung, in: Peripherie 35\/138\u2013139 (2015), 150\u2013169.<\/p>\n

<\/a>9) Vgl. Han, Soziologie der Migration. F\u00fcr die Sozial- und Politikgeschichte der Migration vgl. Klaus J. Bade, Peter C. Emmer, Leo Lucassen, Jochen Oltmer, Hg., Enzyklop\u00e4die Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007; Klaus J. Bade,\u00a0Sozialhistorische Migrationsforschung, G\u00f6ttingen 2004.<\/p>\n

<\/a>10) Vgl. Karl Fallend, (Un)Versch\u00e4mt\u00a0\u2013 Ersparter Hemmungsaufwand. Nationalsozialismus, Antisemitismus im Witz von heute in \u00d6sterreich in: ders., Unbewusste Zeitgeschichte. Psychoanalyse\u00a0\u2013 Nationalsozialismus\u00a0\u2013 Folgen, Wien 2016, 69\u201387.<\/p>\n

<\/a>11) Vgl. www.rsc.ox.ac.uk<\/p>\n

<\/a>12) Journal of Refugee Studies: \u201e(\u2026) provides a forum for exploration of the complex problems of forced migration and national, regional and international responses. The\u00a0Journal covers all categories of forcibly displaced people. Contributions that develop theoretical understandings of forced migration, or advanced knowledge of concepts, policies and practice are welcomed from both academics and practitioners.\u00a0Journal of Refugee Studies\u00a0is a multidisciplinary peer-reviewed journal, and is published in association with the Refugee Studies Centre, University of Oxford.\u201d Ebd.<\/p>\n

<\/a>13) Vgl. fl\u00fcchtlingsforschung.net<\/p>\n

<\/a>14) Vgl. https:\/\/jrf.nrw\/2016\/06\/jrf-flucht-migration-integration\/<\/p>\n

<\/a>15) Tagung\/Open Space zum Thema \u201eQualitative Migrationsforschung heute\u00a0\u2013 Ein Open Space f\u00fcr aktuelle Themen und Methoden\u201d, in Kooperation\u00a0der Sektionen Methoden der qualitativen Sozialforschung, Biographieforschung, Migration und ethnische Minderheiten der Deutschen Gesellschaft f\u00fcr Soziologie (DGS) sowie des Berliner Instituts f\u00fcr empirische Integrations-und Migrationsforschung (BIM), 21.\u201322. September 2017, Humboldt-Universit\u00e4t zu Berlin.<\/p>\n

<\/a>16) Z\u2019Flucht. Zeitschrift f\u00fcr Fl\u00fcchtlingsforschung. The German Journal for Refugee Studies. Zuflucht.nomos.de. Redaktion: Ulrike Krause. Zentrum f\u00fcr Konfliktforschung, Philipps-Universit\u00e4t Marburg, Ketzerbach 11, 35032 Marburg. Email: zflucht@fluechtlingsforschung.net. Jahrgang 1 (2017), Heft 1, DOI: 10.5771\/2509-9485-2017-1.<\/p>\n

<\/a>17) Diese Conclusio wird n\u00e4her ausgef\u00fchrt in: Manfred Nowak, Menschenrechte. Eine Antwort auf die wachsende \u00f6konomische Ungleichheit, Wien\/Hamburg 2015.<\/p>\n

<\/a>18) Vgl. Gabriele Rosenthal, A Plea for a More Interpretative, More Empirical and More Historical Sociology, in: Devorah Kalekin-Fishman\/Ann Denis, Hg., The Shape of Sociology for the
\nTwenty-First Century. Tradition and Renewal, London 2012, 202\u2013217.<\/p>\n

<\/a>19) Vgl. Linda Basch, Cristina Blanc-Szanton, Nina Glick-Schiller,\u00a0Towards a Transnational Perspective on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nationalism Reconsidered (Annals of the New York Academy of Sciences), New York 1992.<\/p>\n

<\/a>20) Vgl. Odine de Guzman, Families in Transition. Gender, Migration, and the Romance of the \u201aFilipino Family\u2018, in: Yoko Hayami u. a., Hg., The Family in Flux in Southeast Asia. Institution, Ideology, Practice, Kyoto 2012, 387\u2013410.<\/p>\n

<\/a>21) Das Konzept der \u201eTransnationalit\u00e4t\u201c wurde v. a. in der ethnologischen Migrationsforschung entwickelt. Das Pr\u00e4fix \u201aTrans\u2018 steht f\u00fcr die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verflechtungen und Transfers, die durch die zyklische Migration zwischen zwei oder mehr Soziet\u00e4ten fortlaufend hergestellt werden. Forschungsgeschichtlich wurde damit ein Impuls gesetzt, Ph\u00e4nomene der Mi\u00adgration nicht nur aus der zentristischen Perspektive des Aufnahmelandes zu konstruieren. Dieser Ansatz k\u00f6nnte auch f\u00fcr die j\u00fcngere Fluchtforschung wegweisend sein. Vgl. Basch u. a., Transnational Perspective; Nina Glick-Schiller, Linda Basch, Cristina Blanc-Szanton, Transnationalismus. Ein neuer analytischer Rahmen zum Verst\u00e4ndnis von Migration, in: Transkulturalit\u00e4t. Klassische Texte, hg. v. Andreas Langenohl, Ralph Poole, Manfred Weinberg, Bielefeld 2015, 139 ff.; zur eminenten Geschlechtsspezifit\u00e4t transkultureller Migration vgl. Senganata A. M\u00fcnst, Migration und Geschlechterkritik. Feministische Perspektiven auf die Einwanderungsgesellschaft, in: Femina Politica. Zeitschrift f\u00fcr feministische Politikwissenschaft 1 (2008), 41\u201354.<\/p>\n

<\/a>22) Vgl. Eisenstadt, Analysis, 170.<\/p>\n

<\/a>23) UNHCR (2016), Global Trends. J\u00e4hrlicher Statistikbericht. (http:\/\/www.unhcr.org\/en-us\/the -global-report.html. (Zugriff: 23. 6. 2016).<\/p>\n

<\/a>24) Vgl. Oliver Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft. \u00dcber das Aufbegehren in der regressiven Moderne, 5. Aufl. Berlin 2017. Nachtwey untersucht und begr\u00fcndet dies vor allem f\u00fcr Deutschland, weitet die Perspektive aber in einem Schlusskapitel auf andere europ\u00e4ische L\u00e4nder, insbesondere auch auf jene des europ\u00e4ischen S\u00fcdens.<\/p>\n

<\/a>25) Die Diskussion dar\u00fcber wird auch von den Institutionen der kapitalistischen Weltwirtschaft wie dem Internationalen W\u00e4hrungsfonds (IWF) gef\u00fchrt. Vgl. Winand von Petersdorff, IWF warnt vor Wirtschaftsnationalismus, FAZ.net vom 15. Mai 2017. Die Financial Times, Stimme des britischen und europ\u00e4ischen Finanzkapitals, warnte unl\u00e4ngst: Bei dem Wirtschaftsnationalismus der neuen US-Regierung und anderer Staaten handle es sich nicht nur\u00a0\u2013 wie viele meinen\u00a0\u2013 um den pers\u00f6nlichen Wahn einzelner Politiker und ihrer Chefberater. Vielmehr sei es die Fortsetzung eines Trends der letzten Jahre, der nun durch den Auftritt autorit\u00e4rer Pers\u00f6nlichkeiten wie Donald Trump, Viktor Orb\u00e1n, Jaroslaw Kaczynski, Marine Le Pen u. a. deutlicher hervortrete.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Flucht und Asyl sind Folgen kriegerischer, oft auch globalisierter Konflikte, regionaler Armut, \u00f6kologischer Katastrophen und westlicher Gouvernementalit\u00e4t.<\/I> Immer deutlicher unterscheiden sich Fluchten und Fluchtmigrationen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt von anderen Migrationen im 19. und 20. Jahrhundert. Die Beitr\u00e4ge dieses Bandes gelangen zu anderen Modellbildungen und Theorien als \u00e4ltere Migrationssoziologien. <\/P>","protected":false},"author":1,"featured_media":29993,"template":"","meta":{"_acf_changed":false,"footnotes":""},"topics":[8,9,41],"magazines":[],"series":[],"class_list":["post-36417","books","type-books","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","topics-geschichte","topics-geschichte-geschichte","topics-zeitgeschichte"],"acf":{"id_intern":"5614","isbn13":"978-3-7065-5614-9","isbn10":"3--70655614-6","verlag":"Wissenschaft","untertitel":"Flucht & Asyl \/ Escape & Asylum","seitenanzahl":"218","lieferbarkeit":"lieferbar","imageurl":"https:\/\/www.studienverlag.at\/bookimport\/STV\/Cover\/5614.jpg","autor":[29992,25430],"als_ebook_verfuegbar":false,"ebook_isbn":"","ebook_isbn10":"","innenansichten":false,"umschlag":"","schlagworte":"Arbeitsmigration, Absorption, Assimilation, Integration, Fluchtmigration, Migration, Asyl, Flucht, subsidi\u00e4rer Schutz, Pal\u00e4stina, Westjordanland, Syrer, Syrien, Europ\u00e4ische Union, EU, Fr\u00f6hlich Institute, Menschenrechte, Melilla, Ceuta, Ursula Mindler-Steiner, Reinhard Sieder","pressestimmen":"","ist_magazin":true,"reihe":"\u00d6sterreichische Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften","band":"2\/2017","erscheinungsdatum":"2017-12-07","zu_loeschen":"","buchausstattung":"","vorschau_vorhanden":true,"related-posts":"","zusatzinfos":"

Inhalt<\/strong><\/p>\n

Inhaltsverzeichnis<\/a><\/p>\n

Jochen Oltmer
\n
Das lange 20. Jahrhundert der Gewaltmigration<\/a><\/p>\n

Sebastian Frik
\n
Die Entwicklung des subsidi\u00e4ren Schutzes. Gefl\u00fcchtete in der Europ\u00e4ischen Union bis 2004 <\/a><\/p>\n

Hendrik Hinrichsen
\n
Re-Marginalisierung der pal\u00e4stinensischen Fl\u00fcchtlinge? Transformation von Wir-Bildern in der pal\u00e4stinensischen Gesellschaft im Westjordanland seit den 1970er Jahren <\/a><\/p>\n

Arne Worm
\n
Verl\u00e4ufe der Fluchtmigration von Syrer*innen in die Europ\u00e4ische Union \u00fcber Ceuta und Melilla <\/a><\/p>\n

Reinhard Sieder \/ Badran Farwati
\n
Rebellion, Fluchtmigration und Asyl. \u00c4rzt*innen und Pharmazeut*innen in der Syrischen Revolution und im Syrischen Krieg, auf der Flucht und im Asyl in \u00d6sterreich <\/a><\/p>\n

Forum<\/strong><\/p>\n

Manfred Nowak \/ Antonia Walter
\n
Flucht und Asyl in der Geschichte der Menschenrechte <\/a><\/p>\n

Open Space<\/strong><\/p>\n

Waltraud Sch\u00fctz
\n
The Fr\u00f6hlich Institute, 1849-1889. Women as girls` school owners in 19th century Vienna <\/a><\/p>\n","ausblenden":false,"autorenbiographie":""},"yoast_head":"\n\u00d6sterreichische Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften 2\/2017 - StudienVerlag<\/title>\n<meta name=\"robots\" content=\"index, follow, max-snippet:-1, max-image-preview:large, max-video-preview:-1\" \/>\n<link rel=\"canonical\" href=\"https:\/\/www.studienverlag.at\/buecher\/5614\/oesterreichische-zeitschrift-fuer-geschichtswissenschaften-2-2017\/\" \/>\n<meta property=\"og:locale\" content=\"de_DE\" \/>\n<meta property=\"og:type\" content=\"article\" \/>\n<meta property=\"og:title\" content=\"\u00d6sterreichische Zeitschrift f\u00fcr Geschichtswissenschaften 2\/2017 - StudienVerlag\" \/>\n<meta property=\"og:description\" content=\"Flucht und Asyl sind Folgen kriegerischer, oft auch globalisierter Konflikte, regionaler Armut, \u00f6kologischer Katastrophen und westlicher Gouvernementalit\u00e4t. 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