Gibt es einen österreichischen Naturalismus? Eine Spurensuche mit Hauptaugenmerk auf innerästhetische Entwicklung, literarische Sprache und narrative sowie poetische Verfahren.
Gibt es einen österreichischen Naturalismus?
Betrachtet man die literarische Produktion der Habsburgermonarchie nach der Revolution von 1848 vor dem Hintergrund gesamtdeutscher Entwicklung, erweisen sich die eingebürgerten Epochenbezeichnungen der deutschen Literaturgeschichtsschreibung als problematisch: Wie ist das, was auf österreichischem Boden auf „Vormärz“ bzw. „Biedermeier“ folgt, zu fassen: als Realismus, Naturalismus, Symbolismus, Impressionismus, Expressionismus? Die österreichischen Autoren sind fast durchgehend zu „Verlegenheiten der deutschen Literaturgeschichte“ (Wendelin Schmidt-Dengler) geworden.
Literarhistorische Kontinuitäten und Zäsuren und die Aussagekraft von Periodisierungen
Die Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich mit der Bedeutung literarhistorischer Kontinuitäten und Zäsuren, aber auch mit der Aussagekraft von Periodisierungen überhaupt. Sind sie taugliche Instrumente der Orientierung? Wie ist es um Naturalismus und (poetischen) Realismus in Österreich bestellt?
Innerästhetische Entwicklung – eine Relektüre österreichischer Klassiker
Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht vor dem Hintergrund bereits geleisteter Forschungsarbeit die innerästhetische Entwicklung. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der literarischen Sprache. Vor allem die narrativen und poetischen Verfahren interessieren bei einer Relektüre österreichischer Klassiker wie auch bedeutender Außenseiter der franziskojosephinischen Epoche: u. a. Peter Altenberg, Ludwig Anzengruber, Jakob Julius David, Marie Delle Grazie, Marie von Ebner-Eschenbach, Karl Emil Franzos, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Peter Rosegger, Ferdinand von Saar, Arthur Schnitzler und Bertha von Suttner.
Inhalt:
- Roland Innerhofer, Daniela Strigl: Sonderweg in Schwarzgelb? Auf der Suche nach einem österreichischen Naturalismus in der Literatur
- Werner Michler: Zur Frage eines österreichischen Naturalismus
- Jacques Le Rider: Naturalismus in bleu-blanc-rouge, Schwarz-Weiß-Rot und Schwarzgelb
- Moritz Baßler: Routines, Fallstudien, Rauschen: Verfahren des Naturalismus
- Karl Wagner: Das bäuerliche Paradigma. Strindbergs „Unter französischen Bauern“, Zolas „Die Erde“, Hardys „Die Woodlanders“ und Roseggers „Jakob der Letzte“
- Werner Garstenauer: Symbolhaftes Erzählen und Naturalismus bei Saar und Hauptmann
- Konstanze Fliedl: Close Reading. Zu Marie von Ebner-Eschenbachs „Meine Kinderjahre“
- Daniela Strigl: „Mich kann man nicht verurteilen“ – Naturrecht und k.k. Justiz bei Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar
- Johann Sonnleitner: Ludwig Anzengruber – Naturalist post mortem?
- Beatrix Müller-Kampel: Naturalistischer Pazifismus oder pazifistischer Kitsch? Zu Bertha von Suttners Erzählprosa
- Clemens Peck: Jakob Julius Davids Naturalismen
- Alexandra Millner: Schmerz, Erbarmen und Lebensnerv Marie Eugenie delle Grazies Drama „Schlagende Wetter“ (1898) – über den Naturalismus hinaus gelesen
- Rebecca Schönsee: Totengespräche: Hauptmann und Hofmannsthal im Echoraum der Totenmaske
- Deborah Holmes: Schnitzler am Stadtrand. Die Überwindung des Naturalismus in zwei frühen Skizzen
- Roland Innerhofer: Regisseur seiner selbst. Wie sich Peter Altenberg literarhistorischer Kategorisierung entzieht
- Sabine Müller: Determinanten-Dilemma. Zola-Rezeption und „erweiterter Naturalismus“ bei Hermann Broch und George Saiko