HistorikerInnen unterschiedlicher Fachbereiche loten die Potenziale der Mikrogeschichte in Theorie und Praxis aus.
Mikrogeschichte sucht nicht das Kleine, sondern das Große im Kleinen. Sie beforscht Gegenstände, die auch in anderen Sparten der Geschichtswissenschaft im Mittelpunkt stehen: Naturbeziehungen, Wirtschaftsverflechtungen, Herrschaftsformationen, Familienverhältnisse, Identitätsstiftungen und so fort. Die Mikrogeschichte zeichnet sich nicht durch das Was, sondern das Wie der Forschung – einen „mikrohistorischen Blick“ – aus: Aus der Nahsicht sucht sie an kleinen Orten und einzelnen Personen überlokale und -individuelle Phänomene „dicht“ zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären. Ein Dritteljahrhundert nach Carlo Ginzburgs Pionierstudie Der Käse und die Würmer hat die microstoria ihre Kinder- und Flegeljahre hinter sich gebracht und ist erwachsen geworden; mit ihr hat sich auch das historiographische Umfeld gewandelt: Die Wirtschaftsgeschichte orientiert sich an makroökonomischen Modellen; die Kulturgeschichte stellt die Kategorie der „Erfahrung“ in Frage; die Welt- und Globalgeschichte lässt den historiographischen Blick in die Ferne schweifen. Wie und zu welchem Ende studiert man heutzutage Mikrogeschichte? Antworten auf diese Frage bietet der vorliegende Band, in dem Historiker/-innen unterschiedlicher Fachbereiche die Potenziale der Mikrogeschichte in Theorie und Praxis ausloten.
Inhalt
Einleitung
Ewald Hiebl/Ernst Langthaler
Einleitung: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis
Debattenbeiträge
Otto Ulbricht
Divergierende Pfade der Mikrogeschichte. Aspekte der Rezeptionsgeschichte
Angelika Epple
Globale Mikrogeschichte. Auf dem Weg zu einer Geschichte der Relationen
Margareth Lanzinger
Das Lokale neu positionieren im actor-network-Raum –
globalgeschichtliche Herausforderungen und illyrische Steuerpolitiken
Ernst Langthaler
Vom Behälter zum Netzwerk? Raum in mikrohistorischer Perspektive
Lukáš Fasora
Mikrogeschichte und Arbeiterkulturgeschichte.
Beispiele aus der neuen tschechischen Forschung
Christoph Boyer
Geschichte als Wissenschaft?
Fallstudien und Werkstattberichte
Andrea Griesebner
Vom Brief zum Forschungsprojekt.
Rekonstruktion des Forschungsprozesses oder Mikrogeschichte angewandt
Norbert Schindler
Die Konflikte um das Salzburger Wetterläutverbot von 1785.
Zum pragmatischen Gebrauch der Mikrogeschichte
Norbert Franz
Handlungsspielräume ländlicher Gemeinden im 19. Jahrhundert.
Zwei ostfranzösische Beispiele im mikrohistorischen Vergleich
Robert Hoffmann
„Es ist dies der Ausfluß meines ‚in sich lebens‘ gegenüber des
äußeren Gesellschaftslebens“. Aus dem Tagebuch eines Gemischtwarenhändlers
Hans Heiss
Der globale Ort. Franzensfeste/Fortezza: Festung, Dorf, Metapher
Stefan Eminger
Die „Oberen“ und die „Unteren“. Eine Fallstudie zur Dorfpolitik
in Niederösterreich zwischen Monarchie und Gemeindereform (1900–1960)
Peter Melichar
Ein Fall für die Mikrogeschichte? Otto Enders Schreibtischarbeit
Brigitte Entner
Ein Dorf in Aufruhr – widerständiges Handeln als kollektive Praxis?
Franz Pötscher
Mauthausen – Lebenswelten neben dem Konzentrationslager.
Erfahrungen aus lebensgeschichtlichen Interviews
Niklas Perzi
Kautzen und Český Rudolec: Zwillingsorte an der Systemgrenze?
Grazia Prontera
Aufruhr für die Demokratie. Die apulische Landarbeiterbewegung (1949–1951)
Johannes Hofinger
Mikrogeschichte und Oral History. Das Projekt MenschenLeben –
Erzählebenen lebensgeschichtlicher Interviews und Fragen der Auswertung
in der Sekundäranalyse
Abstracts
Autorinnen und Autoren