Eugen Semrau analysiert Wechselbeziehungen zwischen sozialen Entwicklungen, allgemeinen Wertfragen und den Zielvorstellungen der zeitgenössischen Kunst und Philosophie anhand von zentralen Gedanken der Wiener Moderne.
Die Wiederkehr des esoterischen Denkens und des Okkultismus im Wien der Jahrhundertwende war eine Reaktion auf den sich abzeichnenden Zerfall der Monarchie und die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Rationalismus. Die dadurch ausgelöste existentielle Orientierungslosigkeit schuf ideale Rahmenbedingungen für das Einfließen esoterischer und okkulter Ideen in den Common Sense einer verunsicherten Gesellschaft. Dies war auch der Versuch, mit neuen ganzheitlichen Lösungsmodellen die wissenschaftliche Moderne zu überbieten und damit hinter sich zu lassen. Es war daher vermutlich kein Zufall, dass sich Sigmund Freud mit seinen Theorien in okkulte Bereiche vorwagte und Karl Kraus in seiner Poesie antike Mythentraditionen beschwor – und es kam wohl auch nicht von ungefähr, dass Gustav Mahler Texte der Freimaurer Goethe, Klopstock und Friedrich Rückert vertonte.
Doch die moderne Esoterik erwies sich als janusköpfig: Einerseits war sie für die Neuorientierung in Wissenschaften und Kunst mitverantwortlich, andererseits war sie aber auch Grundlage für das Herausbilden völkischer Gesellschaftskonzepte.
Der vorliegende Band stellt das Wien an der Wende zum 20. Jahrhundert als Zentrum esoterischer Bewegungen dar und skizziert die Wiener Moderne als eine „Revolution des Geistes“. Kapitel über die Entwicklung des alternativen Denkens in Europa, die völkische Esoterik und die Zusammenhänge zwischen Esoterik, Freimaurerei und Religion ergänzen die Darstellung.