Die zwanzigjährige Herrschaft des italienischen Faschismus ist Thema kaum noch zu überblickender Studien. Besonders im letzten Jahrzehnt sind grundlegende regionale Forschungen erschienen, und es sei in diesem Zusammenhang nur auf die Arbeiten von Stefan Lechner und Andrea Di Michele verwiesen. Aber auch „Geschichte und Region/Storia e regione“ hat sich wiederholt der Thematik angenommen und mehrere Ausgaben dem Phänomen des lokalen Faschismus gewidmet (siehe: 8 (1999) Faschismus in der Provinz/Fascismo in provincia, 13 (2004) 1 Sport und Faschismen/Sport e fascismi, 13 (2004) 2 Faschismen im Gedächtnis/La memoria dei fascismi, 17 (2008) 1 Faschismus und Architektur/Architettura e fascismo). All diese Beiträge sind von einem neuen Geschichtsverständnis durchdrungen. Sie bemühen sich um die Einbettung regionaler Fragestellungen in den Horizont der internationalen Forschung und bedienen sich zugleich vergleichender Ansätze. Es geht weniger darum, „eine“ Geschichte des Grenzfaschismus zu rekonstruieren, als vielmehr jene peripheren faschistischen Herrschaftselemente herauszuarbeiten, die zentral in die Debatte um den Gesamtcharakter des Totalitarismus hineinführen.
Unabhängig von den neuen historischen Forschungsergebnissen bietet der Blick auf Frühphase und Aufstieg des Faschismus die Möglichkeit, Analogien und Unterschiede deutlicher herauszuarbeiten, die auch die unübersichtliche Methodendiskussion der Nachkriegszeit bestimmt haben. Insgesamt wird aus den in dieser Ausgabe versammelten Beiträgen deutlich, dass es bei der Thematik des Faschismus zentral auch um mentale Dispositionen und Mythenbildungen geht, deren nationale und kolonialistische Zuspitzung in den Grenzregionen gerade für die neuen Eliten besonders attraktive Optionen darstellten. Damit geraten immer auch gesamtgesellschaftliche Dimensionen in den Blick. Trotz der intensiven Forschungen der letzten Jahre kann die historiografische Debatte zum Faschismus nicht als abgeschlossen gelten. Das Südtiroler Beispiel zeigt, dass wichtige Untersuchungen noch ausstehen, wenngleich eine tragfähige Basis längst gelegt ist.
Aus dem Inhalt:
Raoul Pupo: Il fascismo di confine. Una chiave interpretativa per un approccio comparative
Anna Maria Vinci: Il fascismo al confine orientale. Appunti e considerazioni
Tullio Omezzoli: Valle d’Aosta e fascismo: dalla incompatibilità costituzionale all’armonia prestabilita
Stefan Lechner: Zwischen Brenner und Salurn: Die Grenzen des Faschismus in Südtirol
Aufsätze/Contributi
Carlo Romeo: Archivi e documentazione nazionale tra le due guerre in Alto Adige
Massimo Bertoldi: Teatro di massa, propaganda e italianizzazione. Il Carro di Tespi in Alto Adige (1930–1943)
Forum
Rolf Steininger: Die Feuernacht und die internationale Reaktion: Deutschland, Österreich und Italien
Leopold Steurer: Die „Feuernacht“: Hintergründe und Scheitern einer Strategie
Carlo Romeo: Il confine sotto attacco. La „Notte dei Fuochi“ nella storiografia e pubblicistica italiana
Hans Karl Peterlini: Methode und Urteil. Die Feuernacht in den Deutungen der Geschichtswissenschaft: eine Auseinandersetzung
Christine Reinle: Ansitz – Freihaus – Corte Franca. Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adeligen Wohnens in der Vormoderne. Ein Tagungsbericht
Thomas Geldmacher: 90 Jahre Peinlichkeit. Die „Republikausstellung“ 2008 und der langsame Tod des „Hauses der Geschichte“ oder Rezension über Stefan Karner/Lorenz Mikoletzky (Hgg.), Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament
Rezensionen