„Man kann zeigen, daß dem Menschen sein Schicksal von Menschen bereitet wird“ (Bertolt Brecht)
Samuel Steinherz, 1857 geborener Sohn einer jüdischen Geschäftsfamilie aus Güssing, wuchs in Graz auf und wurde dort wie am Institut für österreichische Geschichtsforschung in Wien zum bürgerlichen Historiker ausgebildet. 1894 erwarb er die Lehrbefugnis für österreichische Geschichte, 1898 auch jene für allgemeine Geschichte des Mittelalters.
Obschon Steinherz seinem jüdischen Glauben treu blieb, wurde er von Theodor von Sickel in Rom für die anspruchsvolle Bearbeitung der Nuntiaturberichte aus Deutschland (1560-1565) eingesetzt und erwarb sich damit und durch seine urkundenkritischen Spezialstudien zur österreichischen Geschichte Respekt in der altösterreichischen Historikerelite. 1901 erhielt Steinherz eine Professur an der Deutschen Universität Prag. Angriffe von Seiten Deutschnationaler im Sommer und Herbst 1922 veranlassten Steinherz als nunmehrigen Bürger der Tschechoslowakei, ein öffentliches Bekenntnis zum Deutschtum abzugeben.
Er wandte sich, unterstützt von der Loge Praga des Ordens B’nai B’rith, der Erforschung der Geschichte der Juden in Prag und der Tschechoslowakei zu. Steinherz musste sehen, wie die meisten seiner Fachkollegen sich an den Nationalsozialismus anbiederten und für dessen Barbarei eine pseudowissenschaftliche Kulisse lieferten, er erlebte den Einmarsch der Hitlerwehrmacht in die Tschechoslowakei und die Errichtung des Protektorats Böhmen-Mähren.
Als kleinbürgerlicher Individualist hatte Steinherz zeitlebens „unpolitisch“ bleiben wollen, was ihn auch zum Diener der kulturellen Hegemonie der herrschenden Klasse machte, deren Opfer er jetzt wurde. Als über Achtzigjährige wurden Samuel Steinherz und seine aus Wien stammende Frau Sophie ins Ghetto Theresienstadt deportiert; er verstarb dort 1942.
Der Autor:
Gerhard Oberkofler, Historiker, war lange Zeit als Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck und als Leiter des dortigen Universitätsarchivs tätig.