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„Rassismus“ ist ein vielschichtiger Begriff, der weit über den „biologischen Rassismus“ hinausgeht. Schon das Adjektiv „biologisch“ ist leicht irreführend, denn immer ging und geht es um ideologisch aufgeladene Lehren vom menschlichen Körper und vom Menschen, die sich freilich „wissenschaftlich“ geben.
Das Heft stellt mit internationalen Beiträgen zwei Hauptaspekte in den Vordergrund: Die strukturelle Beständigkeit von „Rassismus“ bei aller ideologischer Wandelbarkeit vom 16. Jhdt. bis heute sowie das Verhältnis von Wissenschaft und Rassismus. Letzteres sollte auch zu einer verstärkten Selbstkritik unterschiedlicher Wissenschaften führen.
Ein brisanter Beitrag des Instituts für Geschichte der Universität Wien zu einem hochaktuellen Thema!
Beiträge
Wulf D. Hund
Inclusion and Exclusion: Dimensions of Racism
Max Sebastián Hering Torres
„Limpieza de sangre“: Rassismus in der Vormoderne?
Andreas Hofbauer
Das Konzept der „Rasse“ und die Idee des „branqueamento“ im Brasilien des 19. Jahrhunderts – Ideologische Grundlagen des „brasilianischen Rassismus“
Alexander Bogner
Wissenschaft und Ideologie: Die liberale Bioethik und der Strukturwandel rassistischer Diskurse
Forum
Angelika Magiros
Moderne und Konsequenz. Zum Nutzen von Foucaults anderer Sicht auf die rassistische Identitätslogik
Wolfgang Habermeyer und Karin Priester
Kommentare zu Angelika Magiros
tienne Balibar
Un nouvel antisémitisme?
Gerhard Drekonja-Kornat
Kuba in Afrika – eine Erinnerung
Neu gelesen
Gerald Mozetic: „Rasse und Staat“ von L. Gumplowicz
Hefteditorial
Rassismus und Wissenschaft
Wulf D. Hund schlägt in seinem historischen Überblick vor, besser von „Rassismen“ zu sprechen. Dies lässt sich nicht nur diachron, sondern auch synchron begründen. Er geht von sozialen Inklusionen und Exklusionen aus, die sich von den antiken Gesellschaften bis heute durch alle europäischen und nicht europäischen gesellschaftlichen Formationen hindurch verfolgen lassen. Die inhaltlichen Begründungen änderten sich freilich, aber nicht das Prinzip von Inklusion und Exklusion. Wulf D. Hund untersucht die theoretischen Ansätze der Forschung und das Verhältnis zwischen Rassismus und anderen Kategorisierungen wie Klasse, Nation, Geschlecht, sexistische Kategorisierungen etc. Er fordert am Schluss des Aufsatzes mehr historische Forschung ein, einer Forderung, der dieses Heft insbesondere mit den Beiträgen von Max Sebastián Hering Torres zum frühneuzeitlichen Spanien und Andreas Hofbauer zum brasilianischen 19. Jahrhundert nachkommt.
Man könnte vielleicht einwenden, dass um der begrifflichen Schärfe willen „Rassismus“ doch den „biologisch“ begründeten Diskriminierungen vorbehalten sein sollte, aber solche traditionell als Rassismus bezeichneten Diskriminierungen waren und sind nie nur „biologisch“ begründet. Schon das Adjektiv „biologisch“ ist leicht irreführend, denn immer ging und geht es um ideologisch aufgeladene Lehren vom menschlichen Körper und vom Menschen, die sich freilich „wissenschaftlich“ geben. Gewiss bestand zwischen der wissenschaftlichen Anthropologie des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts einerseits und den rassistischen Lehren des 19. Jahrhunderts ein enger, auch entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang, doch hatte dieser nur kurz Bestand. So sehr sich die Anthropologie der Aufklärung wissenschaftlicher Methoden (Anatomie, Anthropometrie usw.) bediente, so sehr wurde doch ihr Blick von vorgefassten essentialistischen Konzepten geleitet, denen die „empirischen“ Befunde keinesfalls widersprechen durften. Die Rassisten des 19. und 20. Jahrhunderts blieben dabei stehen bzw. luden die essentialistischen Vorannahmen mit weiteren kulturellen, moralischen und wertenden Vorannahmen auf, während sich die Anthropologie sehr allmählich von der essentialistischen Rassenlehre trennte. Restbestände davon macht Wulf D. Hund allerdings bis heute in Enzyklopädien und anderen Druckwerken aus.
Womöglich gerät die Gegenwart erneut in eine Art „Wissenschaftsfalle“? Alexander Bogner analysiert in seinem Beitrag bioethische Diskurse im Licht von Rassismustheorien: „Rassismus als Ideologie ernst zu nehmen muss daher heißen, die strukturelle Wesensverwandtschaft bioethischer Argumentationsmuster zu anderen Diskursen zu registrieren, bei deren spezifischer inhaltlicher Füllung die Anwendung des Rassismus-Begriffs längst allgemeiner Konsens ist.“
Nicht nur Bogner macht auf einen neuen Rassismus aufmerksam, sondern auch tienne Balibar (im Forum). Er untersucht die strukturelle Verwandtschaft von gegenwärtiger Judenfeindschaft und Araberfeindschaft, zwei „Antisemitismen“, die zu einem „komplexen Singular“ verschmelzen. Zwei Beiträge sind der historischen Entwicklung von Rassismen im Spanien der Frühen Neuzeit und im Brasilien des 19./20. Jahrhunderts gewidmet. Im Beitrag „Limpieza de sangre/Rassismus in der Vormoderne?“ fragt Max Sebastián Hering Torres nach den rassistischen Aspekten des „limpieza“-Diskurses im Spanien der Frühen Neuzeit. Seine These lautet, dass die „limpieza“-Doktrin funktional moderne Ausgrenzungsstrategien begründete, die jedoch nicht durch die moderne Anthropologie untermauert wurden, sondern stets durch die Verschmelzung von theologischen Ansätzen und aristotelischer Wissenschaft. Demnach bezeichnet er das „limpieza“-Denken als einen rassistischen Antijudaismus: rassistisch, weil es eine moderne marginalisierende Funktion erfüllte; Antijudaismus, weil es ihrer theologisch-aristotelischen Begründungsstrategie nach der Tradition der Vormoderne entsprach.
Andreas Hofbauer geht den historischen Wurzeln des „brasilianischen Rassismus“ nach. Er beschreibt die ideologischen Konstruktionen von „Farben“ und „Rassen“ und deren Verwicklung mit gesellschaftlicher Machtausübung sowie gesellschaftlicher Konstruktion von Mythen. Er kommt zu dem Schluss, „dass es kein von den ‚Rassenbeziehungen‘ unabhängiges ‚brasilianisches Ethos‘ gibt und dass die Vielfalt an ‚Farb‘- und ‚Rassen‘-Kategorien und deren flexible Anwendung nicht bloß metapherartige Repräsentationen eines ‚realen bipolaren Rassenklassifikationssystems‘ darstellen, sondern vielmehr als Teil einer historisch entwickelten ‚kulturellen Tradition‘ zu verstehen sind.“
Angelika Magiros untersucht in ihrem Forumsbeitrag „Moderne und Konsequenz – Zum Nutzen von Foucaults anderer Sicht auf die rassistische Identitätslogik“ Foucaults Annahme einer Korrelation zwischen moderner Rationalität und Rassismus. Ihrer These nach bildet die „Unbeendbarkeit“ der menschlichen Suche nach Selbsterkenntnis und ihr immanenter Nexus zur Bio-Macht jene moderne Struktur, in der das Potential rassistischen Gedankengutes lagert. Die rassistische Logik, die konsequent und unnachgiebig an die Selbsterkenntnis glaubt, verkörpert der Autorin zufolge die moderne Rationalität so ungebrochen wie kein anderes Denken. Nur das Bewusstsein über den „innermodernen Widerspruch“, den der Rassist leugnet, verhilft dem Menschen dazu, seine brüchige Identität zu akzeptieren. Im Kommentar „Brüche und Widersprüche“ betont Wolfgang Habermeyer die Bedeutsamkeit von Angelika Magiros‘ Unterfangen, indem er ihren Ansatz ausbaut und Identität als „Nährboden der Inhumanität“ versteht. Denn nur das kritische Bewusstsein, dass der Mensch und seine Identität durch Machtverhältnisse bestimmt werden, kann darüber aufklären, dass das Streben nach Selbsterkenntnis ein „nicht einholbares“ Unterfangen darstellt. Nur der Mensch, der die Brüche und Widersprüche seines Seins zu sehen bereit ist, ist in der Lage, Abweichendes und insofern auch Fremdes zu tolerieren. Das Individuum muss sich daher selbst als Kunstwerk erschaffen und die Erkenntnis über die Art seines Selbstverhältnisses als eine schöpferische Tätigkeit ansehen – so sein Foucaultscher Hoffnungsschimmer. Gerade diesen reflexiven Moment versucht der Autor zu retten, um Selbstaufklärung zu ermöglichen und dem in den Strukturen der modernen Gesellschaft gelagerten Rassismus (Produktionsverhältnisse, Gentechnik, Asyl-Gesetzgebung) Sand ins Getriebe zu werfen. Karin Priester hingegen wendet sich in ihrem Kommentar dezidiert gegen Foucault und analysiert Widersprüchlichkeiten in seinem Konzept der Bio-Macht sowie generell in seiner Begrifflichkeit.
In der Rubrik „Neu gelesen“ befasst sich Gerald Mozetic mit „Ra‡e und Staat“ von Ludwig Gumplowicz aus dem Jahr 1875. Noch einmal werden wir auf das Problem von „Wissenschaft“ und „Rassismus“ verwiesen. Die Rezensionen von Wolfgang Benz, Gerhard Drekonja (Forumsbeitrag), Florian Freund, Max Sebastián Hering Torres und Gerald Stourzh zu Neuerscheinungen auf dem Feld der Rassismusforschung vertiefen sowohl die historischen wie die aktuellen Perspektiven dieses WZGN-Heftes.
Ein Zeitschriftenheft kann und soll ein Thema nicht erschöpfend behandeln und es ist kein Buch. Es ist daher müßig aufzuzählen, was in diesem Heft nicht gefunden wird oder was geplant war, aber nicht realisiert werden konnte. Dieses Heft stellt zwei Hauptaspekte in den Vordergrund: Die strukturelle Persistenz bei ideologischer Wandelbarkeit von „Rassismus“ sowie das Verhältnis von Wissenschaft und Rassismus. Letzteres sollte zu einer verstärkten Autokritik unterschiedlicher Wissenschaften führen. Vor allem die Kulturwissenschaften haben die verschiedenen Rassismen dekonstruiert, während andere Wissenschaften womöglich neue Rassismen konstruieren. Wissenschaften sind Teil von Gesellschaften, d.h. dass die gesellschaftliche Konstruktion von Inklusionen und Exklusionen und deren kulturwissenschaftliche Dekonstruktion vor den Wissenschaften selber nicht halt machen darf.
Max Sebastián Hering Torres und Wolfgang Schmale
Abstracts
Wulf D. Hund
Inclusion and Exclusion
Dimensions of Racism
This article deals with some controversial problems in the analysis of racism. With regard to the historical dimension of racism, it is a plea for extensive understanding. Racism is the biological justification of social inequality. It explains social subordination by natural inferiority. With regard to the analytical dimension, the essay pleads for a sociological understanding of racism. Racism is neither an expression of primordial fear nor a reaction to otherness. It creates alienated others in order to legitimise one’s own alienation. With regard to the categorical dimension of racism, the article calls for a more complex understanding. Racism is a central element of social discrimination based on the constructions of gender, class, culture, nation, and race. All these dimensions are disputed with passion in the field of theory, historically they are analysed with restraint. Thus, the article pleads to intensify the historical investigation of racism.
Max Hering
„Limpieza de sangre“
Did Racism Exist in the Pre-Modern Period?
Taking the sixteenth century as a starting point for research on racism might be considered as absurd, given that most studies dealing with this phenomenon start off with the beginnings of anthropology in the eighteenth century. Although the concept of „limpieza de sangre“ in early modern Spain, created by theological dogmatists, is a metaphor through early modern Spain, the concept of „purity“ partially displaces religion as a criterion of differentiation and emphasizes, for the first time in European history, two fundamental criteria for social exclusion: „race“ and „stained blood“. Regarding this point, the article presents a new hypothesis: „Purity“ oscillates between theological and proto-scientific axioms, and it is for that reason that it is called an oxymoron, in other words, as a first „racist anti-Judaism“ in history. The concept of race in early modern Spain does not allow us to state a causal relationship between „purity“ and contemporary scientific racism. However, by observing its function of social exclusion, the historical continuity of this imaginary is made evident. This leads the author to compare the concept of „race“ with a chameleon surviving by mimesis, in other words adapting itself throughout time to the chimerical spheres of „knowledge“ and „truth“ and at the same time fulfilling its alienating function.
Andreas Hofbauer
The Concept of „Race“ and the Idea of „branqueamento“ in Nineteenth-Century Brazil
Ideological Foundations of „Brazilian Racism“
Although Brazil historically was one of the most „solid“ slave societies in the Americas and the last to abolish slavery, it was only recently that the President of this country officially admitted that Brazilian society is not free of racism. The discourse of „racial democracy“ as well as the flexible and ambiguous definitions of „skin colours“ and „racial identities“ have contributed to conceal discrimination and social exclusion. This article argues that the notions of „colour“ and „race“ are social constructions which have emerged in and developed from specific historical, economic and political contexts. In Brazil, the idea to transform „black“ into „white“ became a fundamental and powerful argument to justify the slave trade and the exploitation of Africans. This ideology, which makes „Brazilian racism“ different from classical „racial segregation“, is linked to specific power relations and ideals of life in society.
Alexander Bogner
Science and Ideology
Liberal Bioethics and the Structural Change of Racist Discourses
This article deals with the ideological implications of contemporary liberal bioethics. It draws on important works of several utilitarian philosophers. The analysis focuses on the main concepts of „person“ or „personal life“ which are appraised as an ideological method of answering the central bioethical question of whose life is worth to be lived. This method is ideological with regard to the obvious fact that the differentiation between „person“ and „human being“ is based on a transfiguration of dominant moral concepts in late modernity. Referring to new theories of racism, which recognize the phenomenon „racism“ as a process of signification that establishes and legitimizes specific power relations, the article examines homologies between current bioethical discourses and racism. The author suggests that liberal bioethics which include a discourse of marginalization can be considered as a modernist form of racism, provided that racism implies a specific structure of ideological discourse – and not only a practice of exclusion.
Angelika Magiros
The Problem of Modernity. How Useful is Foucault’s Approach to the Racist Logic of Identity?
The concept of race is often and easily described as pre-modern, even anti-modern. Based on static, quasi-religious thinking it is said to be an ideological stronghold against the dynamics of modern society, one says. However, Foucault’s work offers theoretical instruments for re-reading this relationship between racism and modernity. First of all, it challenges the common thesis about the traditional character of racism as it outlines the close connections between the notion of race and the structures of modern rationality. Read against the grain, however, Foucault also allows a combination of different approaches: His concept of bio-power racism can be pictured as ‚inconsistent modernity‘, – and his analysis of the eager but nevertheless never-ending modern dream of superior mankind finally provides an idea of what could be the inner pivot consistently separating modern ratio from this inconsistent modernity of racist thought: It is the consciousness of contradiction.
tienne Balibar
A New Anti-Semitism?
Racism does not entirely cover the definition of anti-Semitism. The latter preserves a separate meaning which actually encompasses phobia of Jews and phobia of Arabs or Islam. Balibar deals with the problem of a new anti-Semitism, its similarities with racism and its specificities.
Gerhard Drekonja-Kornat
Remembering Cuba in Africa
On Piero Gleijeses‘ „Conflicting Missions. Havana, Washington and Africa, 1959-1976“ (2002)
The military presence of Cuba in Africa in the 1960s and 1970s has largely been forgotten since Cuba retired from its African „mission“ after the breakdown of the Soviet Union. Drekonja reviews the new book by Piero Gleijeses and other studies dealing with Cuban military actions in Southern Africa. The fall of the apartheid regime in South Africa is of course not simply due to Cuban military success, but this success is one of the fall’s causes which is rarely remembered now.
Gerald Mozetic
Ludwig Gumplowicz’s „Ra‡e und Staat“ (1875)
Ludwig Gumplowicz (1838-1909) is regarded as an outstanding representative of conflict theory in nineteenth-century sociology. This article gives a short overview of the development of Gumplowicz’s sociological ideas in the 1860s, 1870s, and 1880s and especially deals with his first publication in German, „Ra‡e und Staat“ (1875). In this period Gumplowicz had already left his native Cracow and tried to promote his academic career at the University of Graz. „Ra‡e und Staat“ is a somewhat transitional work: Gumplowicz emphasized that racial struggle is the major factor in social evolution and that racial amalgamation is a prerequisite for the rise of culture. He linked the existence of culture with the existence of the state. Gumplowicz was to retain these ideas throughout his life. In „Ra‡e und Staat“, however, he considered the term ‚race‘ in an anthropological, i.e. biological sense – a definition he was to give up a few years later in „Der Rassenkampf“ (1883). In that work, as in all following publications, Gumplowicz used the term ‚race‘ in a sociological and historical sense (which, however, did not protect him from being accused of racism).