Journal Für Lehrerinnen

Praxis in der LehrerInnenbildung

Wenn in der Lehrerbildung von ‚Praxis‘ die Rede ist, wird sehr viel Verschiedenes darunter verstanden.


Wir haben mit dieser Ausgabe nicht den Anspruch gehabt, die verschiedenen Aggregatzustände von ‚Praxis‘ in der Lehrerbildung samt der grundlegenden Frage, wie man sich nämlich die Ausbildung von ‚praktischem Wissen‘ professioneller LehrerInnen vorstelle, systematisch zu behandeln. Der Anspruch wäre in einem Heft ohnehin nicht einzulösen gewesen. Wir meinen aber auch, dass die Weiterentwicklung der Lehrerbildung in den deutschsprachigen Ländern derzeit weniger schnelle strukturelle noch konzeptuelle Lösungen brauche, sondern mehr Diskussion, Reflexion und Erforschung von Konzepten und deren Realisierungen braucht. Dazu geben die Beiträge dieses Heftes Anregung.


Lehrerbildung ist nämlich, wie Rudolf Messner (Kassel) in seinem einleitenden Beitrag festhält, trotz ihrer mehr als 30-jährigen Praxis an deutschen Universitäten, weitgehend „forscherisch-konzeptuelles Neuland“. Messner verweist auf eine Reihe von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aus den letzten Jahren, die seiner Meinung nach eine Wissensbasis für die Erneuerung der Lehrerbildung zu liefern imstande wären. Die Lehren dieser Arbeiten fasst er in vier Szenarien zur Bearbeitung des Theorie-Praxis-Problems in der Lehrerbildung zusammen.


Das „berufspraktische Halbjahr“ für Lehramtsstudierende an der Universität Dortmund versteht sich als ein experimentelles didaktisches Labor für forschendes Lernen. Ralf Schneider und Johannes Wildt (Dortmund) zeigen, wie die Studierenden die Schul- und Lernbedingungen von SchülerInnen anhand besonderer Aufgaben erkunden.


Welche Rolle kommt SchulpraktikerInnen in der 1. Phase der Lehrerbildung zu?
Sind LehrerInnen die ‚Boten aus einer anderen Welt‘ in einem weitgehend unverbunden neben der universitären Ausbildung laufenden Praktikum oder wirken sie – auch am Lernort Hochschule – als kompetente Schul- und UnterrichtsexpertInnen in der Lehrerausbildung mit und sind sie verbindlich in Ausbildungsprozesse einbezogen?
Von den Erfahrungen, Wirkungen und auch Grenzen eines Modells, das SchulpraktikerInnen eine aktive und abgesprochene Rolle in der universitären Lehrerbildung geben will, berichten Astrid Kaiser und Detlef Spindler von der Universität Oldenburg.


Schulpraktische Erfahrungen sind nicht nur für Studierende nützlich, sondern auch für ihre BetreuerInnen und MentorInnen, die sie begleiten. Aus deren Perspektive beschreibt Marianne Savary die Chancen zur Reflexion, Kooperation und zur Unterbrechung von Routinen als Herausforderung, ihre Rolle als Lehrerin kritisch zu befragen.
Die verschiedenen Rollen, die SchulpraktikerInnen als „Praxislehrpersonen“ bei der Begleitung von Studierenden in Praktika einnehmen, versuchen Thomas Birri und Helene Nüesch Birri (Rorschach) zu systematisieren. Sie argumentieren, dass die Wirksamkeit der Praxisphasen im Rahmen der Lehrerbildung maßgeblich von der Qualität der Lernbegleitung im Praktikum abhinge und diese wiederum von der Fähigkeit der Praxislehrpersonen zwischen diesen Rollen und den damit verbundenen, z.T. widersprüchlichen Aufgaben und Erwartungen differenzieren zu können.
Welchen Stellenwert hat „Praxis“ in der Fortbildung von PraktikerInnen? Es ist eigentlich erstaunlich, wie lange es dauerte, bis die berufliche Arbeit vor und nach dem Fortbildungsseminaren als wesentlicher Lernort entdeckt und systematischer in die Didaktik der Fortbildung einbezogen wurde (vgl. Altrichter/Posch 1998). Am Beispiel eines kooperativen und partizipativen Workshops zur Weiterentwicklung von Schulleitungskompetenzen zeigt Stephan Gerhard Huber (Bamberg), wie komplexe Probleme der Alltagspraxis von SchulleiterInnen Ausgangspunkte für organisierte Lernprozesse in der Schulleitungs-Fortbildung sind.
Die Diskussion der letzten Jahre hat nicht nur das Bewusstsein, darüber gestärkt, dass Lehrerbildung nicht nur in der Erstausbildung geschieht, sondern auch im und durch den Beruf – und dass daher verschiedene Phasen der Aus? und Fortbildung in ihrer Verzahnung mit Bedingungen der Berufstätigkeit gesehen werden müssten. Dabei ist die Zeit der Berufseinführung besonders in den Blick gekommen (vgl. z.B. Keuffer/Oelkers 2001, 64ff), weil sie einesteils bisher im Lehrerberuf oft geradezu fahrlässig vernachlässigt wurde und weil sie anderenteils als Ansatzpunkt mit besonderem Potential für die Bedingung und Möglichkeit produktiven Lernens im Beruf angesehen wird. Im Methodenatelier stellen Waltraud Aichner und Heike Welte (Innsbruck) ein Instrument vor, mit dem der Beginn der Zusammenarbeit zwischen Betreuungslehrer/in und Praktikant/in in einem Schulpraktikum im Rahmen der ersten Phasen der Lehrerbildung als eine „Situation der Berufseinführung“ thematisiert wird. Der Ansatz erscheint insofern besonders interessant, als damit einesteils die Arbeitsbedingung in der Praktikumszeit ausgehandelt werden, anderenteils sowohl Studierende als auch Mentor/innen für das allgemeinere Problem der Berufseinführung sensibilisiert werden. Das gleiche Problem mit Blick auf die Berufsanfänger/innen in Schulen geht die von Nadine Engels (Brüssel) vorgestellte Checkliste an: Was wird an Schulen zur Einführung in das Berufsfeld, zur Gestaltung des Eingangs in ein neues Handlungsfeld getan? Welche Möglichkeiten, die Berufseingangsphase zu verbessern, werden genutzt?
Schul- und Unterrichtspraxis kann in der Lehrerausbildung auch verdichtet als „Text“ zur Sprache kommen. Unterrichts- und Erziehungsszenen werden zum „Fall“, an dem Studierende Theorie in handlungsentlasteter Situation generieren können.  Die für Lehrerbildung grundlegende Frage, wie Handlungsfähigkeit für komplexe Praxis aufgebaut wird, taucht schließlich im Stichwort auf. Herbert Altrichter (Linz) stellt eine Antwort darauf, nämlich das Konzept „Reflective Practitioner“ des 1997 verstorbenen Handlungstheoretikers Donald A. Schön, vor, das die Lehrerbildungsforschung und -praxis in den angloamerikanischen Ländern nachhaltig beeinflusst hat. Eine Sammelbesprechung von Ursula Carle zu aktuellen Trends in der Lehrerbildungsdebatte beschließt den Thementeil.


Die Beiträge dieses Heftes sollten Geschmack darauf machen, einige der angerissenen Themen – auch in künftigen Heften des journals für lehrerinnen? und lehrerbildung – systematischer zu erkunden, wie z.B. die Unterscheidung verschiedener Formen von Praktika und ihre differentiellen Ansprüche; die Beziehung von Praktika zu den sonstigen universitären Lehrerbildungsveranstaltungen, ihre Bindung, aber auch der Spielraum, der ihnen zugestanden wird; der Aufbau praktischer Handlungsfähigkeit ebenso wie der Fähigkeit, sich reflexiv von praktischer Routine zu distanzieren, um Rückmeldungen verarbeiten und Alternativen gestalten zu können; die Rolle und Ausbildung von Praxislehrpersonen (MentorInnen, BetreuungslehrerInnen usw.), die nur als Präludium zur allgemeineren Frage nach der notwendigen Qualifikation von Lehrenden in der Lehrerbildung verstanden werden kann.
Wir sind der Überzeugung, dass die Frage der intellektuellen wie didaktisch-organisatorischen Konzipierung von „Praxis“ eine der spannendsten in der Lehrerbildung ist. An ihr zeigt sich, wie ernst universitäre Lehrerbildung ihre – intellektuelle und berufspraktische – Aufgabe nimmt und wie ideenreich und selbstbewusst sie – angesichts der durch die Berufspraxis symbolisierten komplementären Seite der Lehrerbildung – ihrer Bildungsaufgabe nachzugehen vermag. Wir hoffen, dass dieses Heft ein Stück der Spannung dieser Aufgabe vermittelt.


(aus dem Editorial)

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