Das vorliegende Themenheft geht auf eine Konferenz des internationalen ForscherInnennetzwerks BHTW (Berkeley/Harvar/Tübingen/Wien) zurück, die der Frage »Schwarz auf Weiß: Imagining Blackness in Austria and Germany« gewidmet war. Ausgangspunkt war die Beobachtung einer zunehmenden Divergenz, wenn nicht gar Inkompatibilität und wechselseitigen Blockade historischer Zugänge. Während die US-amerikanischen Black Studies dem Ursprung nach mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verwoben sind und sich als politische Wissenschaft im modernen Sinn etablierten, war es in Europa vor allem der Aufschwung der Postcolonial Studies, welcher dem Begriffspaar Blackness/Whiteness eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Richtungweisend waren hier zunächst die Arbeiten von Paul Gilroy und Stuart Hall, die nach der Interdependenz von imaginären und ökonomischen Strategien bei der Entwicklung der »Herrschaftskategorie« Blackness fragten und damit einen ersten Rahmen für europabezogene Studien zur »Epidermisierung« (Frantz Fanon) von Macht bereit stellten. Im Gegensatz zu den durch Gilroy und Hall angeregten Studien ist vor allem in den deutschsprachigen Postcolonial Studies die Tendenz erkennbar, Menschen schwarzer Hautfarbe sowie die ihnen zugeordnete Kultur zu Objekten einer Kulturpoetik zu machen, die in lokalhistorischer wie mikroanalytischer Hinsicht neue Einsichten ermöglicht, deren poststrukturalistische Prämissen in makroanalytischen Belangen jedoch mehr verdecken als erklären. Die Tagung »Schwarz auf Weiß: Imagining Blackness in Austria and Germany« versuchte, die Impulse der verschiedenen Strömungen aufzunehmen und entlang der Ambivalenzen weiterzuentwickeln, die mit der zunehmenden Differenzierung zwischen modernen und postmodernen Black beziehungsweise Blackness Studies hervortreten. Der vorliegende Band setzt an einem Punkt an, der sich im Verlauf der Konferenz als auffallend erklärungsstark erwies: das Verhältnis zwischen der Geschichte der schwarzen Diaspora und der Geschichte transnationaler Ideologien, Strategien und Praktiken. Während aus der Sicht der amerikanischen Black Studies hier zunächst zu überlegen wäre, ob es sich nicht um einen Pleonasmus handelt, wird aus europäischer Perspektive aufgrund der engen Verbindung zwischen dem so genannten ›schwarzen Europa‹ und der nationalen Idee das historiografische Desiderat sichtbar, die Geschichte kultureller Kartografie mit Fragen des politischen und ökonomischen mapping zu verschränken. Zwar ist das Repertoire europäischer Blackness-Codierungen vergleichbar begrenzt und rubrizierbar: Je nach geo- und sozialpolitischem Kontext pendelte die Figur im Verlauf des 20. Jahrhunderts präzise zwischen afrikanisierenden und amerikanisierenden, modernen und antimodernen Aufladungen hin und her. Gerade die scheinbare Wiederkehr scheinbar alter Konzepte von Rasse und Abendland im Kontext globalisierter Ethnifizierungen bezeugt jedoch die Dringlichkeit, das Verhältnis von Diaspora, Prä-, Post- und Transnationalismus neu zu denken.
Sabine Müller eröffnet den Band mit einem auf Fragen der historiografischen Theorie konzentrierten Aufsatz. Ausgehend vom ›farbenblinden‹ Amerikanismus des frühen 20. Jahrhunderts interpretiert sie das Verhältnis von Blackness und Transnationalismus als exemplarische Herausforderung für den überfälligen Brückenschlag zwischen der Geschichte von Prozessen der Internationalisierung einerseits, und Dynamiken des othering andererseits. Dabei gelte es vor allem, die wechselseitige Abhängigkeit von Praktiken pränationaler, nationaler und postnationaler Ethnifizierung mit der Geschichte der ›Globalisierung‹ von Ethnizität zu verbinden. Nach einem einleitenden Forschungsüberblick wird ein spezielles Problem in den Mittelpunkt gerückt. Eine Vielzahl sich als antirassistisch verstehender Methodologien sei mit Positionen der Neuen Rechten über ein unheilvolles epistemologisches Einverständnis verbunden. Dieses basiere auf einem dualistischen Verständnis von Essenzialismus und ›Fluidismus‹ sowie einem verkürzten, enträumlichten Differenzbegriff. Es blockiere die Entwicklung makroanalytischer Modelle, denen es zwischen kulturellen und ökonomischen ›flows‹ zu unterscheiden gelänge. Als möglichen Ausgangspunkt für neue Wege der Historiografie skizziert die Autorin Stuart Halls Konzept des »Schwarzen Dreiecks«, das die restringierte Vorstellung einer ›Politik des leeren Signifikanten‹ in eine geopolitische Differenzgeschichte der (schwarzen) Diaspora umformuliere. Anhand von Jean-Luc Godards Black-Power-Groteske »One Plus One« (GB 1968) wird abschließend eine fordismustheoretische Erweiterung des Hall’schen Modells erprobt und zur Diskussion gestellt.
Ingo Zechner zielt in seinem Beitrag auf eine ähnliche Problematik und plädiert für eine epistemologische Relektüre des aristotelischen Begriffs der Essenz. Dessen traditionelle Kritik in der postkolonialen Kulturwissenschaft erachtet er für ungenügend, die zirkuläre gegenseitige Bestätigung von Rassismus und Antirassismus zu durchbrechen. Anhand dreier ausgewählter Film- und Textbeispiele (Fassbinder, Sirk, Vian) kehrt er die gängige Kritik an der aristotelischen Logik gegen sich selbst und verortet sie in einem Drei-Stadien-Modell des Umgangs mit dem Phänomen Blackness. Veranschaulicht an konkreten Lebensgeschichten des jeweiligen Film- und Textpersonals werden die Stadien durch das jeweils zugelassene beziehungsweise (im doppelten Wortsinn) wahrgenommene Begehren der Akteure definiert. Dieses Begehren als historischen Faktor in Rechnung zu stellen, verlange, die politischen, sozioökonomischen und psychischen Determinierungen des Handlungsspielraums der Akteure zu konkretisieren und historisieren. Erst dann könne eine ihrem Namen gerecht werdende wissenschaftliche Dekonstruktion als abgeschlossen gelten.
Was in den beiden einleitenden, stärker theoretisch ausgerichteten Aufsätzen nur angedeutet wird – eine transnationale Geschichte europäischer Blackness –, konkretisieren die vier folgenden Beiträge in mikrohistorischen Einzelaufnahmen. Michael Huffmaster rekonstruiert die Geschichte der schwarzen Entertainerin Arabella Fields, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch Europa tourte. Er beginnt seine Überlegungen bei einem Phänomen, das Fields signifikant von ihrer berühmteren und weitaus besser erforschten Kollegin Josephine Baker unterschied: Je nach Ort, Zeit und Anlass ihres Auftretens schlüpfte Arabella Fields von einer schwarzen Haut in die andere. In ihren Auftritten präsentierte sie sich einmal als Afrikanerin, ein andermal als Südamerikanerin, Australierin, Südafrikanerin oder als ›Eingeborene‹ der Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika. Der Autor entfaltet die These, dass es sich hierbei um keinen Zufall handelt, sondern dass diese »Chamäleon-Strategie« paradigmatisch zu lesen sei. Fields Spiel der Identitäten könne als eine im Entertainment dargebotene und gerne aufgenommene Entortung von Blackness gelten, die bis zum Zweiten Weltkrieg neben einem dezidiert amerikanistischen Marketing (Josephine Baker) ein zumindest gleichwertiges Inszenierungsverfahren darstellte. Den Erfolg garantierte das Ineinandergreifen zweier Momente. Zum einen wurde eine von geopolitischen Konnotationen gereinigte Blackness vorgeführt, die ihr Gegenstück, die europäische Whiteness, von jeglichem eventuellen Fehlverhalten weißwusch. Zum anderen konnte dank dieser Strategie der zeitgenössische Amerikanismus als ›laktifizierter‹ (Fanon) unhinterfragt bleiben: Dem Publikum wurde die unangenehme Assoziation zwischen dem bestaunten amerikanischen Wirtschaftwunder und seinem ›Kollateralschaden‹ der Rassendiskriminierung erspart. So opportunistisch diese Strategie auch klingen mag – gerade dieses metaphysische Blackness-Amalgam eröffnete Arabella Fields die Möglichkeit zu politisch hoch provokanten ästhetischen Experimenten. National nicht zuordenbar, konnte sie es nicht nur wagen, auch innereuropäische Kulturen zu travestieren (als jodelnde Kuhmagd im Dirndl). In ihren Auftritten als inkarnierte Karikatur des ›Hosennegers‹-Stereotyps stellte sie gar die ›weiße‹ Kultur auf die Ebene der ›schwarzen‹ – und dies vor einem Publikum, das in seinem Bewusstsein die völkische Hierarchie der Kulturen eigentlich anerkannte.
Gesa Frömming stellt mit Gerd Arntz und John Heartfield zwei Vertreter jenes Teils der Weimarer Linken ins Zentrum, die der fordistischen Euphorie ihrer Parteigenossen genau jene Tatsachen entgegenhielten, die Arabella Fields ihr Publikum vergessen machen wollte: den amerikanischen Rassismus, verkörpert in Rassegesetzen, Ku-Klux-Klan und Lynch-›Justiz‹. Ihr Beitrag kontrastiert verschiedene Antworten auf die Herausforderung, mit der sich die europäische Linke der Zwischenkriegszeit konfrontiert sah: ›Was tun?‹, wenn der in Europa erfundene American dream einer vom (europäischen) Ballast der Klassengesellschaft befreiten sozialen Mobilität mit der Notwendigkeit einherging, ethnische Hierarchien zu etablieren? Was, wenn die Zweiklassengesellschaft nur durch eine Zweirassengesellschaft abgelöst werden kann?
Am Beginn von Georg Vasolds Beitrag steht die Irritation über die Gestaltung der documenta I von 1955. Sie war explizit der Rehabilitierung der »Entarteten Kunst« gewidmet, es fehlten jedoch justament Werke jener Vertreter, deren Diskriminierung das Etikett der ›Entartung‹ diente: links-politische und amerikanische Künstler. Aus diesem langen Schatten der ›Entarteten Kunst‹ rage ein Kunstwerk der documenta heraus: Gerhard Marcks’ Bronzestatuette »Der Negertrompeter«. Sie stelle in ihrer Verbindung primitivistischer Züge mit dem Motiv des Jazztrompeters (vage ist Louis Armstrong zu erkennen) eine seltsame Kompromisshandlung dar, die als Ausdruck der Hilflosigkeit der Vertreter der deutschen Nachkriegskunst zu interpretieren sei, dem Phänomen Blackness Gestalt zu geben: Der ›schwarze‹ Gegenstand rührte zum einen an das schmerzhafte Thema Kriegsschuld, zum anderen ließ er an die Präsenz schwarzer Besatzungssoldaten denken. Was die Hochkultur mit wenigen Ausnahmen tabuisierte, wurde von der Massenkultur umso willkommener aufgegriffen. Die Puppenproduktion wurde ebenso umgestellt wie Manufakturen von Gebrauchskunst. Kleine Skulpturen von Afrikanerinnen auf Tigerfellen, mit Vasen und ähn-
lichen ›sklavischen‹ Ornamenten ausgestattet, gingen in Massenproduktion: Wohn- wie Spielzimmer der Haushalte in Österreich und Deutschland waren mit kleinen »Negerplastiken« gut bestückt. Die Boulevardpresse und der Schlager standen mit einer Forderung nach »schwarzen Engeln« nicht nach. Dieses Missverhältnis zwischen high und low im Umgang mit der neuen geopolitischen Ordnung legt den Verdacht nahe, dass sich die Sprachlosigkeit der Hochkultur in den ›niederen‹ Genres ein Ventil schuf, das sich jedoch nur für afrikanisierte Phänomene öffnete.
Vrääth Öhner erinnert an Chris Markers und Alain Resnais’ Dokumentarfilm Les Statues meurent aussi. Neben den Filmen Jean Rouchs stellt diese zwischen 1950 und 1953 hergestellte Arbeit von gerade in ihrer vordergründigen filmtechnischen Ratlosigkeit ein singuläres Beispiel dar für die engagierte Auseinandersetzung des modernen französischen Films der 1950er Jahre mit dem französischen Kolonialismus und der Zerstörung afrikanischer Kunst und Kultur als dessen Ergebnis. Les Statues meurent aussi konnte nie große Aufmerksamkeit erzielen: Nach seiner Präsentation bei den Filmfestspielen in Cannes wurde der Film wegen »antikolonialer Tendenzen« verboten und kam erst wieder 1968, zu einem Zeitpunkt, als er formal und inhaltlich veraltet schien, in die Kinos. Setzt man den Film in Beziehung zu Frantz Fanons folgenreichem Buch Schwarze Haut, weiße Masken (1952) sowie zu den Debatten der französischen Intellektuellen über Wesen und Bedeutung der Négritude, so erzwingt dies eine Neubewertung, die auch die Kategorien befragt, die zu seinem Vergessen führten. Öhner verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorstellung eines ›fehlenden‹ Volks, eines Volks, das – mit Deleuze – real sei, bevor es aktuell werde, und ideal sei, ohne abstrakt zu sein. Dieses Bewusstsein der Nicht-Identität zwischen dem Sein von Nationen und dem Werden eines Volkes unterscheide das klassische vom modernen politischen Denken und verschiebe das Verhältnis zwischen dem Wert der Anerkennung von Gleichheit und dem Wert der Erfindung einer Sprache, die (auch?) den »Anteil der Anteillosen« vernehmbar mache. In seiner Reflexion der Koinzidenz von Dekolonialisierung und Klassenkonflikt, die den antikolonialen Diskurs innerhalb der französischen Nachkriegs-
Linken dominierte, erinnere Les Staues meurent aussi auch daran, diese Verschiebung nicht zu vergessen.
Während die Hauptaufsätze auf Konferenzbeiträge zurückgehen, kommen im Forum Autoren zu Wort, die erst im Anschluss für Stellungnahmen zu der neu akzentuierten Thematik eingeladen wurden. Ihre Positionen stecken noch einmal den Raum des Problems ab, mit der historisch belasteten Prämisse eines skalaren, eindimensionalen Raumbegriffs auf eine Weise umzugehen, die seine potenzielle Allianz mit nationalistischen, kolonialistischen und imperialistischen Strömungen bewusst hält, zugleich jedoch nicht auf seine Erklärungskraft verzichtet. Michelle Ann Stephens nähert sich der Thematik über einen historischen Umweg, der die aktuelle Transnationalismus-Diskussion mit einem ihrer folgenreichsten Vorläufer konfrontiert: mit der im frühen 20. Jahrhundert unter anderem von Marcus Garvey, Claude McKay und C.L.R. James verfochtenen Idee einer Black Transnation. Michelle M. Wright nimmt Tony Judts aktuelle Studie zu Postwar Europe zum Anlass, um für einen methodischen Zugriff zu plädieren, der die Spezifika einer europäischen Postwar Blackness als Ausgangspunkt nützt, um der transnationalistischen Epistemologie der Middle Passage entgegenzutreten. Walter Sauer belegt in seinen Anmerkungen zur afrikanischen Diaspora in Österreich hingegen, wie unverzichtbar und wertvoll Forschungen sind, die sich der Grenzen nationaler Historiografie zwar bewusst sind, dieses Potenzial aber sorgfältig auszuloten wissen. Janette Yarwood testet abschließend Arjun Appadurais nicht unumstrittenes Konzept transnationaler »scapes« auf seine analytische Kraft im Hinblick auf eines der komplexesten Kapitel des aktuellen global traffic in blackness: die Tendenzen jugendlicher Coloureds im aktuellen Post-Apartheid-Südafrika, dem ›Nationalismus‹ des ANC mit amerikanistisch-deterritorialisierenden Entwürfen von Ich und Kollektiv zu kontern. Gerade weil der von Yarwood analysierte kulturelle Kampf zwischen einem nationalen und transnationalen Hip-Hop so erstaunlich ›europäisch‹ anmutet, bezeugt er noch einmal die Notwendigkeit, ein angemessenes Instrumentarium zumindest zu verlangen.
Sabine Müller (Wien)
Ingo Zechner
»White Negro« und »Negro White«: Mailer, Fassbinder, Sirk, Vian
Michael Huffmaster
Arabella Fields: Black Nightingale or Black Chameleon?
Gesa Frömming
Vom »Negersklaven« zum »Sklaven des Kapitals«: Der Topos des schwarzen Amerikaners in der Weimarer Linken
Georg Vasold
Gerhard Marcks reist nach New York. Oder: Der Negertrompeter
Michelle Ann Stephens
Modernity’s Shadow: The Black Transnation in Historical Perspective
Michelle M. Wright
Postwar Blackness and the World of Europe
Walter Sauer
Reflexionen zur afrikanischen Diaspora
in Österreich
Janette Yarwood
Deterritorialized Blackness: (Re)Making Coloured Identities among Youth in Post-Apartheid South Africa