Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 17. Jg., Heft 2+3, 2006

Kunstmarkt

Je mehr Kunst aus sakralen und höfischen Zusammenhängen gelöst wurde, umso mehr Wichtigkeit kam Märkten zu, auf denen sie gehandelt werden konnte. Der Kunstmarkt scheint auf den ersten Blick also jener Ort zu sein, »wo die Transaktionen getätigt und die Preise gemacht werden«, und zwar für Kunstwerke, die ihrerseits aus »dem kulturellen Bereich [stammen], wo die künstlerischen Bewertungen erarbeitet und überprüft werden«.(1) Doch schon ein zweiter Blick lässt die Künstlichkeit dieser Trennung erkennen. »Der Handel spielt in der Tat eine nicht zu vernachlässigende Rolle für die Konstanz beziehungsweise den Wandel der vorherrschenden Hierarchie ästhetischer Werte.«(2) Umgekehrt sind die Preise der Werke auch nicht – gerade nicht – unabhängig von deren künstlerischem Wert. Haben Kunst und Markt ihre je eigenen Rationalitäten, so sind deshalb weder Markt noch Kunst rein selbstbezüglich. So lässt sich nicht über Kunstmarkt sprechen, ohne auf die Produktion von Kunstwerken sowie auf deren Zirkulation außerhalb von Markttransaktionen im engen Sinn, kurz: ohne auf die historische Herstellung von Kunst insgesamt einzugehen. Deren wichtigste Akteure (KünstlerIn, SammlerIn, KonservatorIn, ProfessorIn, KritikerIn, GaleristIn, HändlerIn, ExpertIn), Institutionen (Atelier, Galerie, Museum, Auktionshaus, Ministerium, Universität, Kunstverein) und Situationen (Ausstellung, Auktion) seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sind – positiv wie negativ, aber grundlegend – auf den Kunstmarkt bezogen. Neuerungen wie internationale Großausstellungen, Kunstmessen, Symposien oder die Figur des/r KuratorIn haben diese Ausrichtung nur bestärkt.

Der moderne Kunstmarkt war von Anfang an auch international organisiert; und dies wurde im Lauf des 20. Jahrhunderts immer wesentlicher. Ein weiteres Charakteristikum stellt seine Segmentierung in drei Teilmärkte dar: den Markt der klassischen Werke, den Markt der neuesten Kunst und den Markt der »Dutzendbilder«.(3) Der klassische Markt hat zumeist das Paradebeispiel für »den Kunstmarkt« geliefert: Er ist ein Markt höchst seltener und wertstabiler Güter. Gehandelt werden Unikate, deren AnbieterInnen sind MonopolistInnen. Augenscheinlich ist damit Adam Smiths »unsichtbare Hand« lahm gelegt, derzufolge Angebot und Nachfrage den Wert gehandelter Waren regulieren.(4) Dennoch werden die unvergleichbaren Werke in den Transaktionen verglichen, denn die Wünsche der SammlerInnen machen Konkurrenz auf diesem Markt der Monopole möglich.(5) Auf den beiden Teilmärkten aktueller Kunst ist das Angebot demgegenüber nicht vorweg fixiert, sondern relativ offen. Zumal beim Markt der Avantgarde- oder zeitgenössischen Kunst wird der Wert der Werke nicht durch eine lange Geschichte von Wertbehauptung und Wertschätzung beziehungsweise durch die Konventionen der Massenverkäufe gesichert: Er ist kein Markt des ewig Schönen oder des unmittelbar Gefälligen, sondern ein Markt der Provokationen, Revolten und Innovationen, aber auch der Coups, Bluffs, Moden und damit der Spekulation.(6)

Das Problem des Kunstmarkts lässt sich, Raymonde Moulin folgend, als Problem des Platzes der bildenden Kunst in der zeitgenössischen Welt verstehen;(7) oder anders: als das Problem der Beziehungen einer eigenlogischen Kunst zu anderen gesellschaftlichen Bereichen. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Problem wird daher erst möglich, wenn diese Beziehung als solche thematisiert werden kann. Dies ist nicht selbstverständlich. Die traditionelle akademische Kunstgeschichte etwa interessierte sich explizit nur für die Kunstwerk per se.(8) Für die klassische Ökonomie wiederum konnte der Kunstmarkt mit seinen Irritationen (Secondhandmarkt, Monopole, primitiver Tausch mit Gaben- und Geschenkritualen, staatliche Kontrolle, Mäzenatentum usw.) nicht einmal mehr den Sonderfall eines »richtigen« Marktes abgeben.(9) Marxistische Theorien zuletzt sahen in ihm leicht nur ein Überbauphänomen, das von der ökonomischen Basis »in letzter Instanz« determiniert wäre.

Allerdings finden sich im Rahmen der Kunstgeschichte auch Versuche, Beziehungen von Kunst und Gesellschaft zu fassen, vor allem mit Hilfe der Ideen von Künstlerbiographie und Kontext.(10) Und auch nicht alle marxistische Theorie lässt sich auf eine mechanistische Vorstellung von Basis-Überbau-Relationen reduzieren. Schon bei Friedrich Engels findet sich die Überlegung, dass Kultur nicht nur »Ausdruck […] der allgemeinen ökonomischen Lage« sei, sondern »ein in sich zusammenhängender Ausdruck«,(11) also über Eigenlogik verfüge. Ähnliche Vorstellungen wurden im Rahmen der Kritischen Theorie besonders einflussreich. Adorno etwa betont gleichzeitig die Abhängigkeit der Kunst von den Zwängen des Marktes wie ihre Rebellion gegen diese, etwa bei den Kunstmoden: »Mode ist das permanente Eingeständnis der Kunst, daß sie nicht ist, was sie zu sein vorgibt und was sie ihrer Idee nach sein muß.«(12)

Diese Ansätze sind in den letzten Jahrzehnten von anderen Konzepten in Frage gestellt worden, die wechselseitige Beziehungen von Kunst und Gesellschaft nicht nur notgedrungen (fast widerwillig) zulassen, sondern als Ausgangspunkt nehmen. Sie entstanden vor allem in Soziologie, Sozial- und Kulturgeschichte. Besonderen Erfolg hatte das Konzept Kunst-Welt. Arthur C. Danto präsentierte die Idee als erster.(13) Ihre bekannteste Ausformulierung erhielt sie jedoch von Howard S. Becker: »›Art world‹ is commonly used by writers on the arts in a loose and metaphoric way, mostly to refer to the most fashionable people associated with those newsworthy objects and events that command astronomical prices. I have used the term in a more technical way, to denote the network of people whose cooperative activity, organized via their joint knowledge of conventional means of doing things, produces the kind of art works that art world is noted for.«(14) Im Gegensatz zur anekdotischen, biographischen oder ereignisbezogenen Beschreibung einzelner Personen geht es bei der Rekonstruktion von Kunst-Welten um die Kooperation all jener Akteure und Institutionen, deren »kollektives Handeln« Produktion, Rezeption und Zirkulation von Kunst hervorbringt.

Im Rahmen der Systemtheorie wiederum wurde Kunst als Funktionssystem einer Gesellschaft konzipiert. Niklas Luhmann legte dies in mehreren Publikationen mit dem Anspruch dar, soziologische Theorie müsse sich von der Kunst »irritieren« lassen, das heißt empirische Wissenschaft sein.(15) Die Autonomie der Kunst (als Effekt operativer Schließung und Autopoiesis gedacht) wird dabei ebenso thematisiert wie die Beziehungen des Kunstsystems zu seiner Umwelt, die als strukturelle Kopplungen erfasst werden sollen: »[E]s gibt nur wenige und eher lasche strukturelle Kopplungen zwischen Kunstsystemen und anderen Funktionssystemen. Es gibt nach wie vor einen auf Kunstwerke spezialisierten Markt als Kopplung von Kunstsystem und Wirtschaftssystem. […] Im Vergleich zu anderen Intersystembeziehungen – etwa zwischen Recht und Politik oder zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – fällt am Kunstsystem also eher die Abkopplung auf.«(16) Der Beitrag von Carsten Zorn im vorliegenden Heft stellt diese Aussage auf die Probe.

Zuletzt ist für Forschungen der letzten Jahrzehnte das von Pierre Bourdieu präsentierte Konzept des künstlerischen Feldes wichtig: »Dieses relativ autonome Universum (das heißt natürlich auch: dieses relativ abhängige Universum, abhängig vor allem vom ökonomischen und politischen Feld) räumt einer umgekehrten Ökonomie Platz ein, die in ihrer spezifischen Logik auf der besonderen Beschaffenheit der symbolischen Güter gründet: Realitäten mit zwei Seiten, Ware und Bedeutung, deren genuin symbolischer Wert und deren Warenwert relativ unabhängig voneinander bleiben.«(17) Das künstlerische Feld beansprucht somit ein Konzept zur Erklärung gleichzeitig der künstlerischen wie der kunstexternen Bestimmungen von Kunstwerken zu sein. Es funktioniert als »Markt symbolischer Güter«.(18)

Zusammen ergeben die genannten Ansätze und Konzepte den derzeit wichtigsten Bezugsrahmen für wissenschaftliche Forschungen zu Kunst und Kunstmärkten, gleich ob die Arbeiten eher empirisch oder eher theoretisch gewichtet sind. Kunst-Welt, Kunstsystem, Kunstfeld und zum Teil auch Kontext werden dabei zumeist explizit diskutiert oder zitiert. Biographie und Basis-Überbau-Vorstellungen sind ebenfalls präsent, jedoch auf eher versteckte Weise. Die Bezugnahmen sind oft unterschiedlich kombiniert und vielfältig.

Von dieser begrifflichen Vielfalt und den Kombinationen von Ansätzen und Konzepten zeugen auch die Beiträge des vorliegenden Doppelheftes der ÖZG, die sich mit Märkten der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert beschäftigen. Wir wollen damit gezielt auf diesen Zustand der Forschung hinweisen – in der Hoffnung, dass die explizite Kontrastierung unterschiedlicher Zugänge zum Thema Kunstmarkt die wechselseitigen Stärken und Schwächen der Konzepte besser erkennen lässt.

Die ersten sechs Beiträge behandeln den Markt zeitgenössischer Kunst ab den 1980er Jahren. An seinem Fall lassen sich Phänomene von Legitimation und Ausschluss, die umstrittene Definition von Kunst, Geschmacksbrüche und die Logik der Moden sowie die Relation von finanziellen, ästhetischen und sozialem Gebrauchswert von Kunstwerken besonders gut untersuchen. Ursula Frohne analysiert – im Rahmen einer Kritik an der »Ökonomisierung von Kunst« – das Wertesystem eines globalisierten Kunstbetriebs, der einerseits Bedingungen des Marktes unterworfen ist, andererseits zur Bewertung von Werken auch nicht ökonomische Maßstäbe heranzieht und dadurch die Realisierung »aufklärerischer Werte« ermögliche. Alain Quemin zeigt, dass die derzeit häufige Behauptung einer positiven Globalisierung und der Aufhebung nationaler Grenzen in der internationalen Kunst-Welt zum Gutteil eine Illusion darstellt. Nach wie vor dominieren wenige Länder, allen voran die USA und Deutschland, den internationalen Kunstmarkt. Der Beitrag von Anja Grebe untersucht die Einflüsse der Sammlertätigkeit auf die Wertbestimmung von zeitgenössischer Kunst. Sie skizziert die Entwicklung vom Ausstellungskünstler zum Sammler-Künstler unter besonderer Berücksichtigung des Risiko-Sammlers Charles Saatchi und der von ihm »gemachten« Young British Artists. Unter Bezugnahme auf Daten aus der Zeitschrift New American Paintings konstatiert Jukka Savolainen, dass die Werke von Künstlerinnen um circa 25 Prozent niedrigere Preise erzielen als die Bilder von Künstlern. Mit Hilfe einer multivariaten Analyse geht er der Frage nach, wie diese Geschlechter- und Preisdifferenzen am Kunstmarkt zustande kommen. Carsten Zorn untersucht am Beispiel des Berliner Ausstellungsbetriebes für zeitgenössische Kunst ab 1996, welchem Funktionswandel Ausstellungen als strukturelle Kopplungen zwischen Kunstsystem und anderen Funktionssystemen einer Kontrollgesellschaft unterworfen sind. Alexander Mejstrik diskutiert im Rahmen einer Untersuchung der österreichischen Galerien zeitgenössischer Kunst 1991–1993, ob und wie ein Kunstmarkt mit Hilfe des Feld-Konzeptes erfasst werden kann. Das Galerien-Feld wird dabei mit Hilfe einer multiplen Korrespondenzanalyse
konstruiert.

Die nächsten drei Beiträge des Doppelheftes behandeln zeitlich frühere Fälle von Kunstmärkten. Nina Tessa Zahner untersucht anhand der Karriere von Andy Warhol jene Transformationen der »Regeln der Kunst«, welche die Logik des Kunstfeldes seit den 1960er Jahren nachhaltig prägen. Waltraud Bayer beschreibt das Entstehen eines inoffiziellen Kunstmarktes in der Sowjetunion unter den Bedingungen stalinistischer und poststalinistischer Herrschaft. Offizielle und inoffizielle Kunstproduktion, staatliches und privates Sammeln stellten unversöhnliche Gegensätze dar. Die inoffizielle Kunst erfuhr nach dem Ende des Realsozialismus eine radikale Aufwertung am internationalen Kunstmarkt. Peter Melichar skizziert den Wiener Kunstmarkt der Zwischenkriegszeit und jene Personen (Künstler, Sammler, Kritiker), Organisationen (Künstlerverbände, Museumsvereine) und Institutionen (Ministerien, Akademien, Museen, Medien), die ihn wesentlich gestalteten.

Eva Blimlinger fasst in einem abschließenden Forumsbeitrag die Debatte um Raubkunst, enteignete Kunst und Fluchtgut zusammen, die im Zuge der Kunstrestitutions-Problematik geführt wird. Sie weist dabei auf die grundlegenden Differenzen zwischen Provenienzrecherche und Geschichtsforschung hin.

Alexander Mejstrik (Wien)
Peter Melichar (Wien)

Anmerkungen

(1) Sébastien Guex u. Chantal Lafontant Vallotton, Der schweizerische Kunstmarkt: intransparent und von der Forschung wenig beachtet. Einleitung, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte. Revue d’histoire 1 (2002), 12–16, hier 14.
(2) Ebd.
(3) Vgl. Raymonde Moulin, L’artiste, l’institution et le marché. Avec la collaboration de Pascaline Costa [11992], Paris 1997, 15–83.
(4) Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen [11776], München 1978, 49 u. 371.
(5) Vgl. Raymonde Moulin, Le marché de l’art. Mondialisation et nouvelles technologies, Paris 2003, 15–20.
(6) Vgl. ebd. 39–55.
(7) Vgl. dies., Le marché de la peinture en France [11967], Paris 1989.
(8) Vgl. etwa Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit [11948], Frankfurt am Main, Berlin u. Wien 1985.
(9) Vgl. Paul A. Samuelson, Volkswirtschaftslehre. Eine Einführung. 2 Bde. [11948], Köln 1964; Karl Pribram, Geschichte des ökonomischen Denkens. 2 Bde. [11983], Frankfurt am Main 1992. In diesen beiden Klassikern der ökonomischen Theorie wird weder Kunstmarkt noch Kunst erwähnt.
(10) Vgl. etwa die Arbeiten von Wolfgang Kemp und Timothy James Clark.
(11) Friedrich Engels an Conrad Schmidt in Berlin, 27. 10. 1890, in: Karl Marx u. ders., Ausgewählte Werke, Wien u. Moskau 1981, 713–719, hier 716. Engels schreibt hier konkret über das Recht.
(12) Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie [1970], Frankfurt am Main 1973, 467 f.
(13) Vgl. Arthur C. Danto, The Artworld, in: Journal of Philosophy 61 (1964), 571–584.
(14) Howard S. Becker, Art Worlds [11982], Berkeley CA 1984, X.
(15) Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, 9; vgl. auch ders., Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, Bern 1994.
(16) Ders., Kunst 1997, 391.
(17) Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes [11992], Frankfurt am Main 1999, 227.
(18) Vgl. ders., Le marché des biens symboliques, in: Année Sociologique 22 (1971), 49–126.

Inhalte

Ursula Frohne
New Economies: Das Surplus der Kunst

Alain Quemin
The Hierarchy of Countries in the Contemporary Art World and Market. An Empirical Survey of the Globalization of the Visual Arts

Anja Grebe
Krawallkunst und Risikosammler: Charles Saatchi und die Young British Art. Vom Ausstellungskünstler zum
Sammlerkünstler

Jukka Savolainen
Style Matters: Explaining the Gender Gap in the Price of Paintings

Carsten Zorn
Kunstsystem und Kontrollgesellschaft. Ausstellung versus Autonomie: Zum Funktionswandel struktureller Kopplungen

Alexander Mejstrik
Kunstmarkt: Feld als Raum. Die österreichischen Galerien
zeitgenössischer Kunst 1991-1993

Nina Tessa Zahner
Kunst zwischen Kulturindustrie und Hochkultur: Andy Warhol und die Transformation des Kunstfeldes in den 1960er Jahren

Waltraud Bayer
Der inoffizielle Markt: Kunst und Dissens in der Sowjetunion, 1956-1988

Peter Melichar
Der Wiener Kunstmarkt der Zwischenkriegszeit

Eva Blimlinger
Provenienzrecherche – Geschichtsforschung. Über Kunst- und Kulturgüter

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