Schon in den siebziger Jahren begannen u. a. Philosophie, Philologie und Geschichte in erhöhter Intensität damit, ihre ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu untersuchen, wobei diese Tendenz sich in den Kulturwissenschaften der neunziger Jahre reflexiv zuspitzte. Die theoretischen und geschichtlichen Debatten der >digitalen< Gegenwart in der Wissens- und Informationsgesellschaft legen nunmehr nahe, dass auch Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur keineswegs nur empirisch vorausgesetzt werden können, sondern ihrerseits als Folge, Resultat und Effekt historiographisch beschreibbarer Transformationen von Wissensformen, Technologien, experimentellen Anordnungen und Archiven zu begreifen sind. Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sind nicht einfach nur Bedingungen oder Gegenstände des historischen Wandels, sondern haben selbst diskursive, operationale, instrumentelle oder institutionelle Voraussetzungen, die von einer jüngeren Medienwissenschaft in einem umfassenden und zugleich spezifischen Sinn als >Medien< bezeichnet werden.
Dabei lassen sich die gegenwärtigen Debatten der Medienwissenschaft kursorisch an einigen Punkten zusammenfassen, die diesem Mainstream der Geschichtswissenschaft erkenntniskritisch – aber keineswegs unhistorisch – entgegenstehen. So sind Medien in der Geschichtswissenschaft bisher zumeist als dialogische Vermittler in einer gegebenen Öffentlichkeit thematisiert worden, die Informationen von einem individuellen oder kollektiven Handlungssubjekt zu einem anderen übertragen. Dabei wurden die Konstitutions- und Konstruktionsleistungen von Medien hinsichtlich dieser modernen Individual- oder Kollektivsubjekte kaum berücksichtigt. Diese Tendenz geht oftmals mit der Anwendung einer transparenten Kommunikationsvorstellung oder -theorie einher, in der Bedeutungen, Sinngehalte oder Intentionen – und seien es historische – an einem Punkt A in ein Medium eingehen, um an einem Punkt B unverändert wieder herauszukommen. So begriffen, stellen Medien nur Mittel, Instrumente oder Werkzeuge menschlicher Kommunikationshandlungen dar und greifen ihrerseits nicht in diese Kommunikationen ein. Demgegenüber hat bereits Marc Bloch gerade hinsichtlich historischer >Quellen< betont, dass die Informationsübertragung in der Geschichte eher mit dem Verzerrungsprinzip der stillen Post und der Nicht-Intentionalität oder Nicht-Transparenz von Dokumenten verbunden ist denn mit homogenen Sinnbildungsprozessen, seien sie synchron oder diachron. Später hat beispielsweise Michel Serres derartige Erkenntnisse – die auch zutiefst mit modernen Informationstheorien verbunden sind – in seiner Theorie des Parasiten gebündelt, nach der das Zustandekommen von sinnhafter Kommunikation sich nur durch den Ausschluss eines störenden Dritten ergeben kann; dieser Dritte aber ist die Störfunktion des Mediums.
Wenn des Weiteren auch mit Niklas Luhmanns Systemtheorie eine Soziologie vorgeschlagen wurde, nach der nicht Menschen, sondern Kommunikationen kommunizieren, so ist gerade der geringe Rezeptionsgrad systemtheoretischer Ansätze im Rahmen der Geschichtswissenschaft ein Beispiel für die genannte Tendenz, Medien auf Kommunikationstechniken zu reduzieren und sie damit in ihrer Geschichtsmächtigkeit zu unterschätzen. Dies geht auch damit einher, dass bis dato eher jene humanwissenschaftliehen Modelle die Historiographiegeschichte durchziehen, welche die soeben skizzierte Kommunikationsvorstellung im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit wiederholen. Und so haben auch strukturale Modelle des Sprachlichen nur bescheidenste Umsetzung erfahren. Nur allzu oft wird der Mensch – im Rekurs auf die Referenzwissenschaft Anthropologie – als einziger Akteur in der Geschichte angesetzt, wenngleich kaum bestreitbar ist, dass mediale Infrastrukturen nicht nur in die menschlichen Kommunikationen eingreifen. Denn darin sind sie der bisherigen Konzeption von ökonomischen, sozialen oder kulturellen Strukturen homolog. Darüber hinaus stellen sie aber Menschenfassungen und Menschenbilder durch Medienprojektionen her. Der spezifische Einsatz einer Historischen Medienwissenschaft ist mit diesem Blick auf die medialen Bedingungen von Ökonomie, Gesellschaft sowie Kultur verbunden und beleuchtet so auch die bisherigen Modelle der Geschichtswissenschaft in den ihnen eigenen diskursiven, operationalen, instrumentellen oder institutionellen Voraussetzungen, die immer auch historische sind.
Dabei soll keineswegs bestritten werden, dass es der Medienwissenschaft bis dato nicht gelungen ist, ihren Gegenstand systematisch und epistemologisch zu begrenzen. Die Versuche einer Begriffsklärung sind zahlreich, stehen indes jenen der Bestimmungsversuche von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in nichts nach. Und so hat etwa Sybille Krämer die Unterscheidung zwischen literarischen Medien, technischen Medien und Massenmedien eingeführt, neben der beispielsweise folgende – erweiterte und ebenso wenig hierarchisch angeordnete – Differenzierung möglich wäre:
Sprachmedien Diskurse, Begriffe, Denksysteme, Wissensordnungen, Konversationsformen, literarische Sprachen etc.
Schriftmedien Akten, Dokumente, Texte, Bücher, Briefe, Inschriften etc.
Bildmedien Gemälde, Graphiken, Zeichnungen, Ikonen, Porträts, Photographien, Filme etc.
Technische Medien Telegraph, Kinematograph, Schreibmaschine, Photoapparat, Computer, Navigationsinstrumente etc.
Massenmedien Fernsehen, Radio, Zeitung, Internet etc.
Institutionelle Medien Archive, Sammlungen, Museen, Bibliotheken, Kinos, Theater etc.
Gerade weil auch mit derartigen Vorschlägen die Systematisierung des Medienbegriffs noch nicht zu einem Ende gelangt ist, kann das Projekt einer Historischen Medienwissenschaft mit Grundlagenforschungen verknüpft werden. Im Hinblick auf die Geschichtswissenschaften können dabei mindestens drei Forschungsfelder ausgemacht werden, die auch in den gegenwärtigen Diskussionen immer deutlicher auf einander verweisen: Erstens die Auseinandersetzung mit der spezifischen Geschichtlichkeit
respektive Historizität von Medien, die eine >Aufarbeitung< bzw. eine Re-Lektüre der bisherigen Ergebnisse von Wirtschafts-, Technik- und Kommunikationsgeschichte erfordert. Zweitens die Analyse der Medialität und d. h. auch Diskursivität von Geschichte und Geschichtsschreibung im Sinne einer Zusammenfassung jener Bereiche, in denen nach den medialen Trägern des Vergangenen
(>Quellen<) genauso gefragt werden kann wie nach der medialen Eingebundenheit und Codierung jeglicher Historiographie samt ihrer Repräsentationsformen. Fragen, die teilweise in der bisherigen Literatur-, Historiographie- oder auch Filmgeschichte gestellt wurden. Und drittens eine spezifisch epistemologische Zuspitzung, die in der erkenntniskritischen Überkreuzung von Mediengeschichte und (ihren) Geschichtsmedien jene Problematisierungslinien akzentuiert, die mit der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen jeglicher – und d. h. auch der historischen – Erkenntnis verbunden sind.
Dieser Blick auf die Voraussetzungen wissenschaftlicher Erfahrung und Sinnbildung führt somit erneut zu einer extensiven Befragung der geschichtswissenschaftliehen Grundlagen, die dennoch empirischer Überprüfung zugänglich bleibt. Die werknahen Wissensbestände der Begriffs-, Diskurs- und Philosophiegeschichte bleiben daher im Blick auf eine kommende Historische Medienwissenschaft zu sichten, wenn etwa die Funktion von soziologischen, psychologischen oder anthropologischen, aber auch physikalischen, physiologischen oder biologischen Wissenszusammenhängen in unterschiedlichen Medien und deren Rolle in der Historiographie zur Diskussion stehen. Historische Medienwissenschaft umschreibt mithin eine reflexive Geschichtswissenschaft, deren Perspektiv- und Problematisierungslinie darin liegt, sich entlang ihrer Vollzüge sukzessive und rekurrent in den eigenen Bedingungen zu spiegeln, deren epistemologischer, technologischer, experimenteller und eben immer auch historischer Charakter im Blick auf Systematik und Historik zu analysieren bleibt.
Und so schlägt Thomas Brandstetter in seinem Beitrag vor, das Wissen der Astronomie im 18. Jahrhundert nicht ohne Historisierung der zu diesem Zeitpunkt auftauchenden Astronomiegeschichte zu erfassen. Diskurs- und medienanalytisch wird somit ein Herkunftsort der Wissenschaftsgeschichte als einer historiographischen Form ausgemacht, die sich zu diesem Zeitpunkt auf die Suche nach ihrem eigenen >Ursprung< begibt. Im Rahmen dieser Zusammenführung von Wissens-, Medien- und Instrumentengeschichte wird ein – über Bourdieus Praxeologie hinausgehender – Habitusbegriff angesetzt, der als mentales Werkzeug (outillage mental) auch auf die Schule der Annales verweist, in deren Umkreis dieser Begriff bereits in den 1930er Jahren vorgeschlagen wurde, ohne indes umfassend eingesetzt worden zu sein. Im Zuge dieser Darstellung werden das Zusammenstellen eines astronomischen Datenarchivs und der gleichzeitige Einsatz von verschiedenen Instrumenten zu >Medienrevolutionen< des 18. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um historische Transformationen des Numerischen und des Technischen, welche Denksysteme und Wissensformen genauso bedingen wie sie von ihnen abhängig sind. Und so übernimmt etwa das Teleskop die instrumentellen Funktionen von Zeugenschaft und Bezeugung, die dem neuzeitlichen wissenschaftlichen Diskurs seit der Inquisition eingeschrieben sind. Funktionen, die exemplarisch im Beobachtungshabitus der Astronomie nachbuchstabiert werden können, wenn Auge, Hand und Ohr sich mit Fernrohr, Mikrometer und Pendeluhr synästhetisch verschalten. Alles in allem betont dieser Beitrag, dass eine Geschichte der – nicht nur astronomischen – Sichtbarkeitsordnungen auf eine Analyse des Unsichtbaren und auf eine Deskription des Sagbaren verwiesen ist.
Im Rahmen einer diskontinuierlichen Technikgeschichte behandeln auch die Ausführungen von Tobias Nanz den Bereich der Sag- und Sichtbarkeiten, wenn das luftfahrtgeschichtliche Dispositiv des Cockpits und die Relation zwischen Pilot und Instrument in diesem analysiert werden. Denn hier wird unterstrichen, dass der historische Bruch zwischen Tag- und Nachtflug nicht zuletzt damit in Verbindung steht, dass auch im 19. Jahrhundert – zum Beispiel mit Leon Foucaults berühmtem Pendel – Instrumente als Medien die Funktion übernehmen, virtuelle und d. h. medial codierte Realitäten herzustellen, die später den Sicht- und dann den Blindflug erst ermöglichen werden. Im diskurs- und mediengeschichtlichen Filigran von Lebens- und Arbeitswissenschaft, von Psychotechnik und Neurophysiologie wird so nachvollziehbar, dass Instrumente und Apparate jenen symbolischen Realitätsraum codieren, in dem die Autonomie des handelnden Piloten je schon mit dem Autopiloten verschränkt ist. Dabei hebt Nanz auch einen militärgeschichtlichen Aspekt hervor: Fluginstrumente beginnen datierbare Befehle zu geben, die keine menschliche Verarbeitung von Information mehr benötigen, sondern den Piloten in ein – fast schon kybernetisches – Reiz/Reaktionsschema einspannen, in dem er rückgekoppelt keinen Sinn mehr benötigt, um zu handeln. Historiographisch ist bemerkenswert, dass die Ausführungen vom Einstieg bis zur Landung einer buchstäblichen Flugbahn folgen, die sich auch mit einer erkenntnistheoretischen Pointe verbindet: Denn wenn Piloten von Datenwirklichkeiten nicht nur abhängig sind, sondern letztere den Blindflug erst ermöglichen, liegt die epistemologische Frage nahe, inwiefern nicht jedes Historisieren auf diese operationale Realität der Daten verwiesen ist. Eine allgemeine Geschichte der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine steht dahingehend noch genauso aus wie eine medienwissenschaftliche Geschichte der Aufmerksamkeit.
Das Einspannen von Subjekten in Stützvorrichtungen ist – wie im Hinblick auf das Cockpit- auch hinsichtlich des kinematographischen Apparats von Interesse. Und so wird nach Ute Holl das Auge der Kamera in seinen Mikrobewegungen zur Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Dabei analysiert diese Filmgeschichte einen Film im Film und stößt so auf den Zusammenhang zwischen Geschichten und Gesichtern im Kino. Filmische Visualität und die ihr eigene Geschichtlichkeit wird dabei diskursanalytisch und historisch im Rekurs auf mediale Infrastrukturen untersucht. Durchgängig geht es dabei um die Wechselwirkungen zwischen der eigenen (historischen) Wahrnehmungsorganisation und der Historizität von Film-Bildern, die ihrerseits historische Konstellationen des Kinos hervortreiben. Entgegen einer einfachen historischen Einordnung des Kinos als weiterem Medium natürlicher Leiblichkei t- neben und nach Ikonen, Portraits oder Photographien – wird mithin das Auftauchen des Kinematographen im 19. Jahrhundert als gesichts-und geschichtsgenerierend aufgefasst. Der Medientransfer vom Bild in die Schrift ist seit diesem Zeitpunkt zur konstitutiven Notwendigkeit jeder Filmanalyse geworden. Fast beiläufig fallen damit auch romantische Theorien des Ausdrucks, da das Kino nur über Aussagen und Signifikantenketten operiert, die erneut ein Verhältnis von Sagbarem und Sichtbarem herstellen. Dabei wird auch betont, wie der filmanalytische Diskurs und das Kino durch die Reproduktion von anthropometrischen oder ethnographischen Wissensformen an der Konstitution und Konstruktion von Kollektivsubjekten (Rasse, Klasse, Nation, Weiße, Schwarze, Frauen, Männer etc.) beteiligt war. Erst das Kino hat diskursive Differenzen zu effektiven Unterschieden in der Ordnung der Wahrnehmung gemacht und führt so schon bei Vertov zum Ende des Anthropozentrismus. Mit Jean-Luc Godard ließe sich insofern auch für die Körpergeschichte des Menschen sagen: Das Kino ist der einzige Zeuge, die einzige Spur. Aber auch literarische oder grammatologische >Spuren< verweisen nicht auf eine ihnen ontologisch vorgängige Geschichte. Und so analysiert Armin Schäfer eine ganze Kaskade von >Autoren<, deren Schriften in diskursgeschichtlichen Rückkopplungsschleifen fragmentarisch präsentiert werden, wodurch auch die skripturalen Voraussetzungen dieses Textes selbst vor Augen stehen. Darüber hinaus werden Diskursformen und Medientechnologien der Urheberschaft und des Autors als Teile einer >diskontinuierlichen Nicht-Geschichte< (Burroughs) der modernen Subjektivität und ihrer Verbindung zum Anspruch auf Authentizität und Urheberschaft beschrieben. Eine derartige auf Medienwissenschaft rekurrierende Literaturgeschichte legt so im Rekurs auf die eigenen Bedingungen jede Referenzdogmatik und jeden Abbildungspositivismus ab, um sich ihrerseits dem gewählten Gegenstand anzugleichen und Subjekt wie Objekt der Analyse ins Zirkulieren zu bringen. Dabei ist hervorzuheben, dass der aus der elektronischen Musik übernommene Terminus technicus des Sampling sich auch außerhalb seines datierbaren Aufkommens im so genannten digitalen Zeitalter als tragfähige Interpretationsmatrix anbietet, um historische respektive literarhistorische Archive zu beschreiben und zu ordnen. Gerade ob der intensiven Diskussion der Autorfunktion Elfriede Jelinek und ihrem Verhältnis zu Sprachlegos wird dabei einsichtig, dass eine solche Methode auch im Bereich der Geschlechtergeschichte noch auf ihre Anwendung wartet. Des Weiteren handelt es sich hier aber auch um eine Geschichte des Zitierens, das in seiner Funktion als Schnittstelle von Texten mit Links im Internet vergleichbar wird. Unabhängig von jeder Spurensicherung wird so das Zitat nicht mehr auf einen repräsentationslogischen Begriff historistischer Wahrheit bezogen, sondern zeigt sich als Wahrheitstechnologie in deren eigener Geschichte. Und so sind auch die literarischen Sprachen als Medien zu begreifen.
Markus Krajewski erweitert diesen Umstand, wenn er eine medienwissenschaftliche Diskursgeschichte nach dem linguistic turn anbietet und ausgehend von der Programmiersprache JAVA einem Metapherneffekt in der Wirtschaftsgeschichte des Kaffees nachgeht, ohne diese zur determinierenden Voraussetzung von jener zu machen. Die einfache Erkenntnis, dass Programmiersprachen eine Geschichte haben, wird durch den markanten Verweis auf den dezidiert informatischen Programmcharakter von Geschichte umgedreht. Denn die Geschichte (hier jene der Java-Bohne im 16. Jahrhundert) ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern immer auch selbstreferentieller und autopoietischer Effekt der Medien, seien diese nun Handelsschiffe oder Computer. Die Geschichte der Ökonomie wird so entlang von Regelkreisen als Protokybernetik lesbar und Handelsnetze verbinden sich mit den Netzwerken von Computern. Dennoch macht Krajewski sich nicht auf die Suche nach den ökonomischen Voraussetzungen des Internet und seiner Browser. Vielmehr fallen diese im Informationszeitalter mit einer diskursiven und medialen Geschichtsökonomie zusammen, die noch die retrospektiv gerichteten Formen der Wirtschaftsgeschichte ausgehend von Programmiersprachen durchzieht. Es findet sich kein Mensch am Ursprung der Geschichte, sondern informatische und d. h. informationstheoretische Sprachstrukturen zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt. Der sozialgeschichtliche Grundbegriff >Arbeit< wird hier exemplarisch durch den mediengeschichtlichen der >Datenverarbeitung< und d. h. vor allem durch den der >Information< ersetzt, wenn wirtschaftsgeschichtlicher Handel zu medientheoretischer Übertragung wird. Geschichte wird Programm, Programm wird zu Geschichte.
Die Beiträge dieses Bandes schreiben sich mithin entlang ihrer Reihenfolge in die Erkenntnisbestände von Wissenschafts-, Technik-, Film-, Literatur- und Wirtschaftsgeschichte ein, ohne deren dezidierte Verlängerung oder prinzipielle Ablehnung anzustreben. Vielmehr überkreuzen sich die unterschiedlichen Linien dieser Texte in einem Problematisierungsraum, dessen methodische Systematisierung zur Zeit nur kursorisch erfolgen kann. Denn alle lagern sich an den Ecken eines epistemologischen Quadrats an, das durch Diskurse oder Wissensformen, durch Operationen oder Technologien, durch Instrumente oder experimentelle Apparaturen und durch Archive oder Institutionen gebildet wird. Die Mitte dieses Quadrats stellt eine Leerstelle, eine Lücke dar, die auf allgemeinster Ebene das erkenntniskritische Problem jeder wissenschaftlichen Repräsentation markiert. Ihr Name ist Medium.
So heterogen die Beiträge mithin hinsichtlich der zeitlichen, räumlichen oder thematischen Ausrichtung auf den ersten Blick auch scheinen mögen, so klar führen sie diese programmatische Struktur vor Augen, in der Geschichtsmedien und Mediengeschichten sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten überlappen. Damit wird ein Forschungsfeld aus Interferenzen und Störungen abgesteckt, das gerade angesichts historischer Analysen zur Ausgangskonstellation einer kommenden Historischen Medienwissenschaft wird, sofern sie mit einer breiten Historisierung der spezifisch historischen Wissenschaftlichkeit zusammenfällt und dabei mit poetologischem Nachdruck den Namen der Geschichtswissenschaft an seine Wissenschaftsgeschichte bindet. Dieser Band schlägt eine solche Ausrichtung vor, wenn die Beiträge auf divergente Art und Weise das skizzierte epistemologische Feld in unterschiedlichen Richtungen durchlaufen. Denn erstens wird hier durchgehend nach den medialen und historischen Bedingungen von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Subjektivierungen, kinematographischen Bildern, literarischen Autoren oder Programmiersprachen gefragt, ohne das soeben angedeutete Repräsentationsproblem zu umgehen. Und zweitens folgen alle Ausführungen einer spezifischen Rekurrenz und Reflexivität des Historischen, wenn nach den Sternen in der Astronomiegeschichte
gefragt wird, die Geschichte des Cockpits im Blindflug an uns vorüberzieht, das Auge der Kamera dabei Gesichter und Geschichte schneidet, der Urheber eines Textes sich in der Dichte seiner Gegenstände verliert und das Rauschen des Meeres im Kanal zu stören beginnt.
Alessandro Barberi / Wolfgang Pircher
Weimar / Wien
Thomas Brandstetter
Sic itur ad astra. Ein Beobachtungssystem der Astronomie im
Frankreich des 18. Jahrhunderts
Tobias Nanz
Blindflug. Zur Psychotechnik des Piloten und seiner Instrumente
Armin Schäfer
Jelinek: Teile + Zubehör
Markus Krajewski
Die Kaffee-Maschine. Zur handelsmächtigen Metaphorik der
Programmiersprache JAVA
Hermann Rauchenschwandtner
Biopolitik, Zoopolitik und Zookratie: Diskursive Unterhandlungen und ontologische Abgründe
Immanuel Wallerstein
Der rassistische Albatros. Die Sozialwissenschaften, Jörg Haider und der Widerstand