Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 11. Jg., Heft 3, 2000

Im Inneren der Männlichkeit

»Bestenfalls ein schwaches Rinnsal« nannte Martin Dinges 1998 die deutschsprachige Männergeschichtsforschung. Mehr als drei Jahre später lässt sich die Zahl explizit männergeschichtlicher Studien noch immer an einer Hand abzählen. Doch auch die deutschsprachigen Geschichtswissenschaften haben nun das Männerthema entdeckt, erste Fachtagungen sind ihm genauso gewidmet wie universitäre Lehrveranstaltungen. Mit AlM GENDER (http://www.ruendal.de/aim/gender.html) existiert ein eigenes Internet-Forum für historische und interdisziplinäre Männerforschung.

Was also ist Männergeschichte? Diese Frage lässt sich derzeit nur ungenügend beantworten. Die Vertreter/innen der Geschlechtergeschichte meinen, historische men ’s studies gehörten in ihr Terrain. Männergeschichte würde den immer mitzudenkenden zweiten Part der Geschlechterdifferenz abdecken. Die neuere Geschlechtergeschichte berücksichtige dabei hegemoniale Beziehungen innerhalb der Geschlechter genauso wie vielfältige Formen des Geschlechterüberganges. Auch wenn die Männergeschichte von manchen zu einem selbstständigen Forschungsfeld erklärt wird, haben ihre Vertreter/innen noch zu keinen klar definierten Forschungsaufgaben und -perspektiven, geschweige denn zu eigenständigen Methoden gefunden. Skeptiker/innen der Männer-Diskussion meinen überhaupt, dass hier nur eine weitere Bindestrich-Geschichte erfunden wird, deren einziges Ziel es ist, Forschungsterrain und -ressourcen zu besetzen.

Der "Mann«, die »Männer«, die »Männlichkeit/en«, der »männliche Körper« … die Liste möglicher Untersuchungsobjekte der Männergeschichte ist lang. Im internationalen Vergleich hat die Geschichte der »Männlichkeit« derzeit wohl die besten Chancen. Mit ihr glaubt man nicht nur akademische Kreise, sondern angesichts der seit Jahren proklamierten Krise der Männlichkeit auch ein breiteres Publikum erreichen zu können. Für viele Männer ist es nach der »erlittenen« Emanzipation zur Gewissheit geworden, dass traditionelle Männlichkeitskonzepte nicht mehr unhinterfragt übernommen werden können. Versuche einer neuerlichen Essentialisierung des Männlichen sind bislang ebenfalls gescheitert. »Dekonstruktion« lautet deshalb das Motto für die Expedition in das Innere der Männlichkeit.

Der Männlichkeitsbegriff ist in der Geschichtsforschung wie in den gender studies aber auch deshalb modern geworden, weil er ein Eigenes der Männerforschung signalisiert. Die Konstruktion der Männlichkeit, die Aneignung, Einverleibung und Verkörperlichung des Maskulinen an der Schnittstelle von Sozialem, Kulturellem und Natürlichem würde geschlechterspezifisch vor sich gehen. Wie Männer männlieh/maskulin werden, wie sie soziale und kulturelle Männlichkeitsformen in die Psyche und den Körper einschreiben und als »natürlich« empfinden -kurz wie die Naturalisierung der Geschlechteridentität vor sich geht -, gehört noch immer zu den ungelösten Problemen der Geschlechterforschung. Dieses Defizit wiegt umso schwerer, als sich durch Androgynität, Transgender und Queer die Grenzen der Heteronormalität immer mehr auflösen, ohne dass dabei jedoch auch die Geschlechterdifferenz verschwindet.

Der vorliegende Band versucht die Konstruktion und Einverleibung des Maskulinen an recht unterschiedlichen Beispielen zu beleuchten. Gendering, das zeigen die meisten Beiträge, geschah und geschieht performativ und gehört zu jener Konstruktionsart, die Ian Hacking als »interaktiv« beschrieben hat: Soziale und kulturelle Männlichkeitsformen werden demnach nicht in passive Objekte eingeschrieben, sondern treffen auf selbstbewusste Akteure, die sich ihrer Geschlechterzugehörigkeit versichern, diese performativ aneignen und damit interaktiv die Männlichkeitsdefinition verändern.

Lyman L. Johnson zeigt, wie Handwerker und Tagwerker im Buenos Aires des 18. Jahrhunderts eine bestimmte Form von Ehrkultur entwickelten und ihre persönliche Ehre unter Einsatz des Lebens verteidigten. In Anlehnung an Pierre Bourdieus Konzept des männlichen Habitus geht Robert Nye der Frage nach, wie im Laufe der Neuzeit die Verkörperlichung des Männlichen durch Erbschaftsstrategien, soziale Reproduktion und Soziabilität beeinflusst und weitergegeben wurde. Gert Hekma sieht de Sades Leben und Werk im Zeichen der körperlich-sexuellen Erniedrigung und charakterisiert den Marquis als Antitypus des Maskulinen, der im 19. und 20. Jahrhundert nicht in die vorherrschenden Männerbilder integrierbar war. Ute Frevert betrachtet den Männerraum des Militärs im 19. Jahrhundert als eine Schule der Männlichkeit, in der Uniformität und Hegemonie genauso einverleibt wurden wie Differenzerfahrungen. Im Kommentar zu ihrem Beitrag weisen Alessandro Barberi und Peter Melichar auf die Gefahren der Essentialisierung hin und bezweifeln, dass Männerräume auch automatisch Männlichkeitsräume waren. Männerbündische Soziabilität und bestimmte männliche Kommunikationsformen spielen für Gabriella Hauch auch in der FPÖ in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine herausragende Rolle. Angesichts autoritären männlichen Machtstrebens wird hier Geschlechterpolitik zu einer inhaltsleeren Etikette. Reinhard Sieder zeigt schließlich, wie ein lange Zeit zentraler Bestandteil der Männlichkeit, die patriarchale Vaterschaft, in modernen Beziehungskulturen und "Fortsetzungsfamilien« durch neue Verständigungs- und Handlungsformen abgelöst wird.

Franz X. Eder, Wien

Inhalte

Lyman L. ]ohnson
Ehre und Männlichkeit im kolonialen Spanisch-Amerika

Robert Nye
Die Transmission der Männlichkeiten

Gert Hekma
De Sade. Männlichkeit und sexuelle Erniedrigung

Gabriella Hauch
Geschlecht und Politik in der Freiheitlichen Partei Österreichs 1986 bis 2000

Reinhard Sieder
Von Patriarchen und anderen Vätern. Männer in Familien nach Trennung und Scheidung

Ute Frevert
Männer (T)Räume: Die allgemeine Wehrpflicht und ihre geschlechtergeschichtlichen Implkationen

Alessandro Barberi, Peter Melichar
Der Traum vom Männerraum. Kommentar zu Ute Frevert

Peter Schöttler
Mentalitätengeschichte und Psychoanalyse: Lucien Febvres Begegnung mit ]acques Lacan 1937/38

Till van Rahden
Vaterschaft, Männlichkeit und private Räume. Neue Perspektiven zur Geschlechtergeschichte des 19. Jahrhunderts

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