Arbeit und Herrschaft in der frühen Neuzeit
Die umständliche, auch im Titel dieses ÖZG-Heftes enthaltene Etikettierung "frühe Neuzeit" zeigt einmal mehr, daß die sich von der Überwindung der spätmittelalterlichen Krise bis zur bürgerlich-industriellen Doppelrevolution erstreckende Epoche der europäischen Geschichte erst auf den Begriff gebracht werden muß. In diesen drei Jahrhunderten stehen einander vorwärtstreibende und retardierende Momente nicht bloß gegenüber, sondern kristallisieren zu regional unterschiedlichen und eigenständigen gesellschaftlichen Formationstypen, die, einmal etabliert, Entwicklungsmöglichkeiten eröffneten oder blockierten.
Als eine Grundlage für die Ausbildung derartiger gesellschaftlicher Formationen gilt seit langem der Dualismus von grund- und gutsherrschaftlich geprägten Regionen im zentraleuropäischen Raum. Anknüpfend an den Forschungsstand zu diesem Phänomen, eröffnet Herbert Knittler den Aufsatzteil dieses Heftes mit dem Versuch, die Position der ostösterreichischen Länder innerhalb dieses Dualismus zu bestimmen. Die vielfältigen Überlappungen der grund- und gutsherrschaftlich geprägten Zonen im Zentrum des Kontinents und die Unmöglichkeit, die Ausbildung der beiden agrarischen Formationen auf einen einzelnen zentralen Erklärungsfaktor zurückzuführen, verlangen nach regionaler Differenzierung und der Berücksichtigung von unterschiedlichsten Entwicklungsverläufen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Gesamtgefüges.
Erich Landsteiner setzt an der in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts sowohl im literarischen als auch im obrigkeitlichen Diskurs intensiv geführten Auseinandersetzung um eine als "Bärenanbinden" bezeichnete Form des Arbeitskonfliktes im niederösterreichischen Weinbau an. Auf der Grundlage der Analyse der wesentlichen Strukturmerkmale und konjunkturellen Entwicklungstrends in diesem für das frühneuzeitliche Niederösterreich zentralen Wirtschaftssektor versucht er, die Handlungsmotivationen und Verhaltensweisen der im Weinbau tätigen sozialen Gruppen zu entschlüsseln.
Die Arbeiten des US-amerikanischen Historikers William Hagen über brandenburgische Gutsherrschaften geben Hermann Rebel Anlaß zu einer umfassenden Kritik dessen, was er als "Kosten-Nutzen-Rechnung" in der Analyse sozioökonomischer Entwicklungsverläufe bezeichnet. Er stellt diesem Ansatz und den Thesen von Max Weber und Hans Rosenberg über die Rationalität der ‚Junkerherrschaft‘ den Zugang von Eric Wolf gegenüber, der ihm geeigneter erscheint, die sozialen Konflikte zwischen Grundherren und Untertanen und ihre Rolle in der Modernisierung des preußischen Staates zu erfassen.
Masamichi Takagi untersucht die Formen sozialer Reproduktion im frühneuzeitlichen Handwerk am Beispiel der Innsbrucker Schuhmacher. In deutlichem Kontrast zu den gängigen Annahmen zeigt er, daß in Innsbruck bis zum ausgehenden 17. Jahrhundert Meisterstellen nur selten vom Vater auf den Sohn übertragen wurden und der Topos vom Gesellen, der eine Meisterwitwe heiratet und dadurch sein Glück macht, für die Rekrutierung der Schuhmachermeister keine bedeutende Rolle spielte.
Im Interview stellen wir diesmal Barbara Hanawalt vor, die aufgrund ihrer Arbeiten zur spätmittelalterlichen englischen Gesellschaft und zur Stellung und Lebensweise der Frauen zu den bedeutendsten Mediävistinnen der USA zählt. Mit Barbara Hanawalt sprachen Brigitte Rath und Katharina Simon-Muscheid.
Ingrid Bauer resümiert ihre Erfahrungen am Österreichischen Historikertag 1992. Aufgefordert, zum Thema ,Arbeiterfrauen in der Provinz‘ zu referieren, und unzufrieden mit der Art und Weise, in der dieses Thema am Historikertag abgehandelt wurde, reflektiert sie die Zusammenhänge zwischen dem Zentrum-Peripherie-Problem, der gesellschaftlichen Stellung von Frauen und den Modalitäten der (männlichen) historiographischen Diskurse zu diesen Thematiken.
Schließlich stellt Markus Cerman ein Postgraduiertenprogramm in europäischer Wirtschafts-und Sozialgeschichte vor.
Markus Cerman, Erich Landsteiner (Wien)
Herbert Knittler
Zwischen Ost und West
Erich Landsteiner
Einen Bären anbinden
Hermann Rebel
Frondienst und Mehrwert in der preußischen Gutswirtschaft
Masamichi Takagi
Die Weitergabe von Betrieb und Gerechtsame im Innsbrucker Schuhmacherhandwerk
Barbara Hanawalt
Mediävistik und Frauengeschichte
Ingrid Bauer
Welche Zentren? – Welche Peripherien?